Testierunfähigkeit und Demenz

In unserer neuesten Ausgabe zum Thema „Testierunfähigkeit und Demenz“ beleuchten wir einen eindringlichen Praxisfall, der die Herausforderungen und Streitigkeiten illustrieret, die nach dem Tod eines Erblassers auftreten können. Die 91-jährige Erblasserin E, deren zunehmend verwirrter Zustand Fragen zu ihrer Testierfähigkeit aufwirft, landet im Zentrum eines erbitterten Konflikts zwischen ihren Kindern.

Wir diskutieren die rechtlichen Grundlagen der Testierfähigkeit und beleuchten, welche Beweise notwendig sind, um ein Testament wirksam anzufechten. Unsere Hinweise richten sich an alle, die in einer ähnlichen Situation sind und zeigen auf, wie rechtzeitig die Weichen für eine erfolgreiche Vermögensregelung gestellt werden können.

Erfahren Sie, wie Sie sich auf mögliche Streitigkeiten vorbereiten und welche Schritte in Erbangelegenheiten erforderlich sind. Lesen Sie den vollständigen Artikel für wertvolle Einblicke und praktische Tipps!

Einleitung

Das Durchschnittsalter der Bevölkerung in der Bundesrepublik steigt kontinuierlich. Demenzerkrankungen, von denen in der Regel ältere Menschen betroffen sind, nehmen mit zunehmendem Lebensalter zu. Demenz und Testierfähigkeit bilden immer mehr einen Schwerpunkt in der anwaltlichen Beratung. Nicht selten entbrennt nach dem Erbfall ein Streit unter den Erben, ob der Erblasser zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments noch in der Lage war, die Tragweite seiner Verfügung zu erkennen. Das gilt vor allem dann, wenn der Erblasser noch kurz vor seinem Tod sein Testament ändert. Dieser Beitrag soll helfen, Streit unter den Erben zu vermeiden.

Praxisfall

Die 91-jährige Erblasserin E – ihr Mann war schon im Jahr 2000 vorverstorben – lebte in den letzten sechs Jahren vor ihrem Tod bei ihrer Tochter T. Die Erblasserin E war insbesondere in den letzten Jahren zunehmend vergesslich und verwirrt. Nachdem E im Jahr 2019 verstirbt, wird von dem Nachlassgericht ein privatschriftliches Testament vom 10.10.2018 eröffnet, in dem E ihre Tochter T zur Alleinerbin eingesetzt hat. Die Geschwister B und C sind empört. Sie wollen das Testament angreifen mit der Begründung, ihre Mutter sei bei Abfassung der letztwilligen Verfügung testierunfähig gewesen.

Begriff der Testierunfähigkeit

Die Testierfähigkeit ist eine Sonderform der allgemeinen Geschäftsfähigkeit. Anders als bei der Geschäftsfähigkeit, die beschränkt sein kann, gilt bei der Testierfähigkeit der Grundsatz „ganz oder gar nicht“. § 2229 Abs. 4 BGB regelt den in der Praxis wichtigsten Fall der Testierunfähigkeit aufgrund geistiger Einschränkungen wie folgt:

„Wer wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, wegen Geistesschwäche oder wegen Bewusstseinsstörung nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln, kann ein Testament nicht errichten.“

Bei der Beurteilung der Frage, ob Testierunfähigkeit gemäß § 2229 Abs. 4 BGB vorliegt, kommt es entscheidend darauf an, ob der Erblasser aufgrund einer psychischen Störung außerstande ist, einen freien Willen zu bilden und danach zu handeln.

Drei Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit Testierunfähigkeit vorliegt:

  • krankhafte Störung der Geistestätigkeit bzw. Geistesschwäche oder Bewusstseinsstörung

  • Unfähigkeit, die Bedeutung der Willenserklärung einzusehen (kognitives Element) und nach dieser Einsicht zu handeln (voluntatives Element)

  • Kausalität, das heißt die fehlende Einsichtsfähigkeit und die fehlende Freiheit der Willensbildung müssen auf der geistigen Störung beruhen

Das Krankheitsbild der Demenz in seinen verschiedenen Ausprägungen (zum Beispiel Alzheimer, Parkinson) ist regelmäßig Gegenstand von Rechtsstreitigkeiten, die die Frage der Testierfähigkeit des Erblassers zum Gegenstand haben. Bei einem mittelschweren und schweren Grad von Demenz liegt in der Regel Testierunfähigkeit vor. Bei leichten Demenzformen müssen Wahnsymptome hinzutreten (zum Beispiel Verfolgungswahn), insbesondere solche, die sich auf das Vermögen des Erblassers beziehen.

Ein Erblasser ist bis zum Beweis des Gegenteils als testierfähig anzusehen. Für diesen Beweis genügt nach der Rechtsprechung ein für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen. Diese für § 286 ZPO entwickelten Grundsätze gelten grundsätzlich in allen Verfahren, in denen die Testierfähigkeit zu prüfen ist, insbesondere bei Erbrechtsfeststellungsklagen vor dem Landgericht und in Erbscheinsverfahren vor dem Amtsgericht (Nachlassgericht).

Prozessuales Vorgehen

Im Praxisfall wollen B und C das Testament angreifen.

a) Rechtsposition von B und C

Sollte E tatsächlich zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments testierunfähig gewesen sein, wäre das Testament nichtig (§ 2229 Abs. 4 i. V. m. §§ 104, 105 BGB). Da keine früheren Testamente existieren, würde die gesetzliche Erbfolge greifen. Gesetzliche Erben wären T, B und C zu je 1/3 Anteil (§ 1922 Abs. 1, 4 BGB).

b) Darlegungs- und Beweislast

Nach der gesetzgeberischen Konzeption wird vermutet, dass E testierfähig war. Von B und C wäre deshalb darzulegen und zu beweisen, dass bei E zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments am 10.10.2018 eine geistige Störung vorlag, aufgrund derer die erforderliche Einsichts- und Handlungsfähigkeit ausgeschlossen war.

c) Erbscheinsverfahren vor dem Amtsgericht (Nachlassgericht)

Bevor das Gericht einen Erbschein erteilt, wonach T dem Testament vom 10.10.2018 folgend Alleinerbin der E geworden ist, wird das Gericht B und C Gelegenheit zur Stellungnahme und insbesondere zur Erhebung von Einwendungen geben. B und C müssen spätestens dann aktiv werden und sich anwaltlich vertreten lassen, um dauerhafte Rechtsnachteile zu vermeiden. Anderenfalls wird das Nachlassgericht der bis auf Weiteres geltenden Vermutung, dass jeder Erblasser testierfähig ist, folgen und den Erbschein zugunsten der T erlassen.

B und C können vorab auch selbst gegenüber dem Nachlassgericht aktiv werden und einen eigenen Erbscheinsantrag stellen, um die Frage der Testierfähigkeit zu klären. Hierzu reicht es nicht aus, allein zu behaupten, E sei testierunfähig gewesen. B und C müssen über ihren Rechtsanwalt konkrete Anhaltspunkte für eine Testierunfähigkeit – zum Beispiel bestimmte Verhaltensweisen der E, die auf eine schwere Form der Demenz hindeuten – vortragen. Diese sogenannten Anknüpfungstatsachen sind von dem Gericht festzustellen, bevor dieses entscheidet, ob ein medizinischer Sachverständiger auf dieser Tatsachengrundlage beauftragt werden kann. Aussagen von Personen, die der E nahe standen, aber auch von Ärzten und Pflegepersonal, über charakteristische Verhaltens- und Wesensauffälligkeiten von E – bestenfalls im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang zu der Errichtung des angegriffenen Testaments – können von besonderer Bedeutung für eine Demenzdiagnostik sein. Tragen B und C keine hinreichenden Anknüpfungstatsachen vor, wird das Gericht nicht in der Lage sein, Beweis zu erheben, und ihren Erbscheinsantrag zurückweisen.

Um dieses Ergebnis zu vermeiden, sollten B und C sich die besondere Struktur des Erbscheinsverfahrens zu Nutze machen, in dem für das Gericht der Amtsermittlungsgrundsatz nach § 26 FamFG gilt, wenn auch in der Praxis aufgrund der Vielzahl der bearbeiteten Nachlassvorgänge häufig in abgeschwächter Form. B und C könnten etwa versuchen, über ihren Anwalt und das Nachlassgericht Einsicht in ihnen ansonsten nicht zugängliche Unterlagen (zum Beispiel Behandlungsunterlagen, Betreuungsakte) zu erhalten. Insbesondere anhand einschlägiger Behandlungsunterlagen wird sich der Nachweis einer Testierunfähigkeit deutlich schneller führen lassen als allein durch ein Vorbringen zu den Verhaltensweisen der E.

d) Erbrechtsfeststellungsklage vor dem Landgericht

Eine Alternative zu dem Erbscheinsverfahren stellt die Feststellungsklage dar. B und C könnten Klage vor dem Landgericht erheben, gerichtet auf Feststellung, dass sie gemeinsam mit T Erben der Erblasserin E zu je 1/3 – der gesetzlichen Erbfolge entsprechend – geworden sind. Im Gegensatz zu dem Erbscheinsverfahren gilt im Zivilprozess vor dem Landgericht der Beibringungsgrundsatz (§ 138 ZPO). Ein vor oder während des Rechtsstreits von dem Nachlassgericht erteilter Erbschein erwächst nicht in Rechtskraft und ist für das Landgericht in keiner Weise bindend.

Empfehlungen, um Streit zu vermeiden

  • Bestehen schon im Zeitpunkt der Errichtung einer letztwilligen Verfügung Zweifel an der Testierfähigkeit des Erblassers, sollte der Erblasser bzw. der potentielle Erbe einen Facharzt mit der Beweissicherung beauftragen. Wird das Testament später angegriffen, sind das Attest des Arztes und dessen Zeugnis wichtige Beweismittel, weil so der geistige Zustand des Erblassers im Zeitpunkt der Errichtung des Testaments bewiesen werden kann.

  • Ein notarielles Testament ist in der Regel ein wichtiges Indiz für die Testierfähigkeit des Erblassers. Der Notar soll sich vor einer Beurkundung von der Geschäftsfähigkeit des Beteiligten überzeugen – zum Beispiel durch ein ausführliches Gespräch – und dies in der Urkunde vermerken (§§ 11, 28 BeurkG). Dieser Notarvermerk ist nicht bindend und kann durch ein Sachverständigengutachten widerlegt werden. Der Notar ist aber in Erbscheinsverfahren regelmäßig ein wichtiger Zeuge.

Fazit

Solange die Testierunfähigkeit nicht zur Überzeugung des Gerichts feststeht, wird von der Testierfähigkeit als Regelfall ausgegangen. Die Testierunfähigkeit kann im Erbscheinsverfahren oder im Zivilprozess nur aufgrund eines Sachverständigengutachtens festgestellt werden. Der vom Gericht beauftragte Sachverständige muss Neurologe oder Psychiater sein. Das Gericht ist zur Beweiserhebung nur verpflichtet, wenn genügend Anknüpfungstatsachen für eine Testierunfähigkeit bestehen. Besonders macht sich gründliche Detektivarbeit des Anwalts bezahlt. Aufschlussreich sind zum Beispiel Kranken- und Betreuungsakten. Auch Zeugen sollten in dem Gerichtsverfahren benannt werden, nachdem sie zuvor von dem Anwalt befragt wurden.

Autoren

Dr. Thomas Leuer und Dr. W.-P. Haarmann sind Fachanwälte für Erbrecht. Sie sind auf das streitige Erbrecht spezialisiert.

Dr. Peus · Dr. Leuer · Dr. Haarmann
Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB · Notar