Teilungsanordnung oder Vorausvermächtnis
In der komplexen Welt des Erbrechts kommt es häufig zu Missverständnissen, insbesondere wenn es um die Begriffe Teilungsanordnung und Vorausvermächtnis geht. Unser neuester Artikel beleuchtet einen konkreten Fall, in dem zwei Geschwister um die Verteilung eines Erbes streiten. Der verstorbene Vater hat in seinem Testament zwar beide Kinder zu gleichen Teilen als Erben eingesetzt, jedoch zeigt sich bei der Verteilung der Immobilien und des Barvermögens ein potenzieller Konflikt über die tatsächlichen Erbquoten.
Wir führen Sie durch die rechtlichen Grundlagen und helfen Ihnen zu verstehen, wie entscheidend der Wille des Erblassers ist, um spätere Auseinandersetzungen zu vermeiden. Durch eine klare Formulierung im Testament kann Streitigkeiten unter den Erben vorgebeugt werden.
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Einleitung
Privatschriftliche Testamente sind häufig nicht eindeutig, weil Erblasser in ihrer letztwilligen Verfügung eine nur rein gegenständliche Verteilung der Nachlassgegenstände vorgenommen haben. Das Testament bedarf der Auslegung, um die Erbquoten zu ermitteln. Aber selbst wenn das Testament ausdrücklich Erbquoten vorsieht, kann Streit bei der Verteilung des Nachlasses unter den Erben über die Frage entstehen, ob Wertunterschiede, insbesondere bei Immobilien, untereinander auszugleichen sind. Der Streit lässt sich vermeiden, wenn in der letztwilligen Verfügung eindeutig zwischen Teilungsanordnung und Vorausvermächtnis unterschieden wird.
Der Praxisfall
Der verwitwete V errichtet im Jahr 2008 ein privatschriftliches Testament. Er setzt seine Abkömmlinge S und T ausdrücklich zu gleichen Teilen zu seinen Erben ein. S soll das Dreifamilienhaus in durchschnittlicher Lage erhalten und T das Einfamilienhaus in bester Lage.
V verstirbt im Jahr 2020. Das Mehrfamilienhaus hat einen Wert von 800.000,- €, das Einfamilienhaus in Höhe von 1,2 Mio. €. Außerdem ist Barvermögen in Höhe von 500.000,- € vorhanden.
T beansprucht das Einfamilienhaus und die Hälfte des Barvermögens. S meint, das sei ungerecht. Er verweist auf das Testament und die Erbeinsetzung der Kinder zu gleichen Teilen. S verlangt von seiner Schwester T einen Ausgleich in Höhe von 200.000,- € wegen der unterschiedlichen Verkehrswerte der beiden Immobilien.
Grundsätze
Mit einer Teilungsanordnung i. S. d. § 2048 Abs. 1 Satz 1 BGB kann ein Testierender die Auseinandersetzung des Nachlasses regeln, indem er das Eigentum an einzelnen Nachlassgegenständen einem der Miterben konkret zuweist, ohne diesen gegenüber den anderen Miterben vermögensmäßig zu begünstigen. Ein Mehrwert, den ein Miterbe infolge der Zuweisung der Nachlassgegenstände in Abweichung zu seiner Erbquote erhält, ist dabei von dem Miterben aus eigenem Vermögen auszugleichen (BGH, NJW-RR 1992, 772). Die Teilungsanordnung ist nur dann beachtlich, wenn der Miterbe zu einem solchen Ausgleich bereit ist, da der Erblasser den Miterben nicht über den Nachlass hinaus – hinsichtlich der Verwendung eigenen Privatvermögens – verpflichten kann (BGH, ZEV 1996, 70).
Als ausschließlich auf die Erbauseinandersetzung bezogene Verfügung ist die Teilungsanordnung für die Bemessung der Erbschaftsteuer grundsätzlich – mit Ausnahme bestimmter Steuerbegünstigungen nach dem ErbStrG 2009 – unbeachtlich (Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, 2021, § 3 ErbstG Rn. 114). Dies ist allerdings nur der Fall, wenn sich die letztwilligen Verfügungen als Teilungsanordnung tatsächlich nur auf die bloße Erbauseinandersetzung beziehen. Ob es sich demgegenüber um ein Vorausvermächtnis handelt, für das andere, auch erbschaftsteuerliche Grundsätze gelten, ist durch Auslegung zu ermitteln, wobei die Steuerbehörden und -gerichte an die rechtliche Beurteilung des Nachlassgerichts nicht gebunden sind.
§ 2048 BGB Teilungsanordnungen des Erblassers
Der Erblasser kann durch letztwillige Verfügung Anordnungen für die Auseinandersetzung treffen. Er kann insbesondere anordnen, dass die Auseinandersetzung nach dem billigen Ermessen eines Dritten erfolgen soll. Die von dem Dritten auf Grund der Anordnung getroffene Bestimmung ist für die Erben nicht verbindlich, wenn sie offenbar unbillig ist; die Bestimmung erfolgt in diesem Falle durch Urteil.
Während bei einer Teilungsanordnung Nachlassgegenstände, die der Erblasser zur bloßen Abwicklung der Auseinandersetzung des Nachlasses einem der Miterben zugewandt hat, voll auf dessen Erbteil angerechnet werden, schwebt dem Testierenden bei einem Vorausvermächtnis das Gegenteil vor. Ein Vorausvermächtnis i. S. d. § 2150 BGB liegt vor, wenn der Testierende dem Miterben in Abweichung von den Erbquoten einen wertmäßigen oder auch einen sonstigen rechtlichen Vorteil, z. B. ein Übernahmerecht an einer Immobilie, verschaffen will. Bei Zuweisung eines Nachlassgegenstandes ist dies anzunehmen, wenn dessen Wert bei der Verteilung des übrigen Nachlasses nicht berücksichtigt wird, der Miterbe stattdessen so gestellt werden soll, als sei der Gegenstand einem Dritten zugewandt worden (BGHZ 36, 115). Will ein Testierender dem Miterben den Gegenstand, dessen Wert höher ist als seine Erbquote, vollständig zuwenden, so kann darin – zumindest in Höhe des Überschusses – ein Vorausvermächtnis liegen.
Über die vermögensbezogene Besserstellung hinaus bestehen bei einem Vorausvermächtnis im Vergleich zu einer Teilungsanordnung weitergehende Privilegierungen:
- Der Vorausvermächtnisnehmer ist berechtigt, den vermachten Gegenstand schon vor der Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft zu fordern.
- Das bereits erfüllte Vorausvermächtnis gehört bei beschränkter Erbenhaftung nicht zum haftenden Nachlass, vorbehaltlich § 322 InsO, § 4 AnfG.
- Der Vorausvermächtnisnehmer kann das Vorausvermächtnis ausschlagen (§ 2180 BGB).
- Das Vorausvermächtnis wird von der erbvertraglichen Bindung (§§ 2278 Abs. 2, 2288 BGB) bzw. der Wechselbezüglichkeit gemeinschaftlicher Testamente erfasst (§ 2270 Abs. 3 BGB).
- Das Vorausvermächtnis unterliegt im Zweifel nicht dem Recht des Nacherben (§ 2110 Abs. 2 BGB).
- Das Vorausvermächtnis kann den besseren insolvenzrechtlichen Rang genießen (§§ 1991 Abs. 4, 1992 BGB i. V. m. § 327 Abs. 1 Nr. 2 InsO).
Der Miterbe ist bei einem Vorausvermächtnis Miterbe und zugleich Vermächtnisnehmer. Schuldnerin des Vorausvermächtnisses ist die Erbengemeinschaft. Erbschaftsteuerlich ist deshalb der nach Abzug der Vermächtnislast (§ 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG) verbleibende Reststeuerwert des Nachlasses auf die Erben aufzuteilen und sodann der Anteil des begünstigten Miterben, der zugleich Vorausvermächtnisnehmer ist, um den Steuerwert des Vermächtnisses zu erhöhen (Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, 2021, § 3 ErbstG Rn. 115).
§ 2150 BGB Vorausvermächtnis
Das einem Erben zugewendete Vermächtnis (Vorausvermächtnis) gilt als Vermächtnis auch insoweit, als der Erbe selbst beschwert ist.
Die Abgrenzung zwischen Teilungsanordnung und Vorausvermächtnis bestimmt sich danach, ob ein Begünstigungswille des Erblassers festzustellen ist. Wenn dies der Fall ist und auch eine objektive Besserstellung des Begünstigten vorliegt, liegt ein Vorausvermächtnis vor. Allein ein objektiver Vermögenszuwachs genügt hingegen nicht, wenn der Begünstigungswille sich nicht feststellen lässt. Bei der Prüfung wird der wirkliche oder hypothetische Wille nach den allgemeinen erbrechtlichen Auslegungsregeln ermittelt. Ein Begünstigungswille kann vorliegen, obwohl der Erblasser zulasten des begünstigten Miterben Auflagen – z. B. die Übernahme der Grabpflege – angeordnet hat (OLG Karlsruhe, NJW-RR 2005, 1317). Zu berücksichtigen ist auch, ob die aus der jeweiligen Einordnung als Teilungsanordnung oder Vermächtnis erwachsenden Rechtsfolgen der Motivlage des Erblassers entsprachen.
Lösung Praxisfall
Die v. g. Grundsätze sind auf den Praxisfall zu übertragen. Würde die letztwillige Verfügung des Erblassers als Teilungsanordnung auszulegen sein, kann T zwar die Übertragung des Einfamilienhauses (1,2 Mio. €) verlangen, wäre dann allerdings verpflichtet, den gegenüber S erhaltenen Mehrwert (200.000,- €) an diesen zu erstatten. Handelte es sich hingegen um ein Vorausvermächtnis, hätte T einen Anspruch auf Übertragung des Alleineigentums an der v. g. Immobilie und des hälftigen Barvermögens (250.000,- €), ohne gegenüber S einen Ausgleich zu schulden.
Ob eine Teilungsanordnung oder ein Vorausvermächtnis vorliegt, hängt von dem konkreten, im Rahmen der Auslegung des Testaments und außerhalb des Testaments liegender Umstände zu ermittelnden Willen des Erblassers ab. Wollte V seine Tochter hier gegenüber S finanziell begünstigen? Dem Wortlaut des Testaments ist hierzu nichts zu entnehmen. In einem Erbscheinsverfahren wäre der Wille des Erblassers von Amts wegen zu ermitteln (§ 26 FamFG), im Rahmen eines zivilgerichtlichen Rechtsstreits wäre grundsätzlich T als Klägerin darlegungs- und beweispflichtig für das Vorliegen des Begünstigungswillens.
Für die Abgrenzung kommt es hier insbesondere darauf an, ob die vermögensbildenden Faktoren der Immobilien im Jahr 2008 – zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments – noch gleichmäßig verteilt waren (Einfamilienhaus in bester Lage gegenüber einem Dreifamilienhaus in durchschnittlicher Lage). Sollte sich – etwa durch Rücksprache mit dem Steuerberater des Erblassers – aufklären lassen, dass der Erblasser im Jahr 2008 beide Immobilien als wirtschaftlich in etwa gleichwertig angesehen hatte, läge kein Begünstigungswille vor. Wusste der Erblasser hingegen um einen schon damals mit der Zuweisung des Einfamilienhauses an T verbundenen Vermögensvorteil, spricht dies für einen entsprechenden Begünstigungswillen und damit für ein Vorausvermächtnis.
Hinweis
In notariell beurkundeten Verfügungen von Todes wegen ergibt sich regelmäßig – leider nicht immer – bereits aus der Bezeichnung der Verfügung, ob es sich um ein Vorausvermächtnis oder eine Teilungsanordnung handelt, z. B. durch die Formulierungen
- „Im Wege des Vorausvermächtnisses, also ohne Anrechnung auf den Erbteil“ oder
- „Im Wege der bloßen Teilungsanordnung, also in Anrechnung auf den Erbteil“.
In privatschriftlichen Testamenten sollte zumindest klargestellt werden, ob der Erblasser eine Ausgleichung der Erben untereinander wünscht oder einen Erben begünstigen will.
Fazit
Mit der Teilungsanordnung kann der Erblasser durch letztwillige Verfügung Anordnungen für die Auseinandersetzung treffen (§ 2048 BGB). Erhält ein Miterbe durch die gegenständliche Zuordnung eines Nachlassgegenstandes mehr als ihm nach der Erbquote zusteht, stellt sich möglicherweise die Frage, ob er Ausgleichszahlungen an die übrigen Miterben leisten muss. Entscheidend kommt es darauf an, ob ihn der Erblasser begünstigen wollte (Vorausvermächtnis). Streit unter den Erben lässt sich vermeiden, wenn der Erblasser in seinem Testament eindeutig zum Ausdruck bringt, ob er einen seiner Erben begünstigen will oder ein Ausgleich untereinander wegen der Wertunterschiede erfolgen soll.
Dr. Thomas Leuer und Dr. W.-P. Haarmann sind Fachanwälte für Erbrecht. Sie sind auf das streitige Erbrecht spezialisiert.
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