Pflichtteilsergänzung bei lebzeitigen Schenkungen
In der Diskussion um Pflichtteilsergänzungen bei lebzeitigen Schenkungen sind wichtige rechtliche Aspekte zu beachten, um die Ansprüche von Pflichtteilsberechtigten und die Gestaltung des Nachlasses optimal zu gestalten. In unserem aktuellen Artikel beleuchten wir einen praxisnahen Fall, in dem ein verwitweter Vater seinem Sohn und seiner Tochter durch lebzeitige Zuwendungen in Form von Immobilien und Geldbeträgen einen erheblichen Nachteil für die Nachlassverteilung verursachte. Dabei wird erläutert, wie die Pflichtteilsergänzungsansprüche ermittelt werden und welche rechtlichen Rahmenbedingungen zu beachten sind, insbesondere im Hinblick auf die Zehn-Jahres-Frist und das Niederstwertprinzip.
Wenn Sie sich in einer ähnlichen Situation befinden oder Fragen zur Pflichtteilsergänzung haben, können Sie wertvolle Hinweise und Strategien in unserem vollständigen Artikel finden. Lassen Sie sich mit unserem Wissen unterstützen, um Ihre Ansprüche bestmöglich zu sichern.
Einleitung
Das Pflichtteilsrecht soll nahen Angehörigen einen Mindestanteil am Nachlass sichern. Pflichtteilsberechtigt sind Abkömmlinge des Erblassers, sein Ehegatte und die Eltern, wenn keine Abkömmlinge vorhanden sind (§ 2303 BGB). Schenkungen zu Lebzeiten fallen nicht in den Nachlass. Lebzeitige Zuwendungen erfolgen häufig mit dem Ziel, den späteren Nachlass und die hieraus errechneten Pflichtteilsansprüche auszuhöhlen, was regelmäßig nicht gelingt, weil der Pflichtteilsberechtigte als Ergänzung des Pflichtteils den Betrag verlangen kann, um den sich der Pflichtteil erhöht, wenn der verschenkte Gegenstand dem Nachlass unter den Voraussetzungen des § 2325 BGB hinzugerechnet wird. Aber zumindest eine Reduzierung der Pflichtteilsansprüche kann bei richtiger Gestaltung gelingen.
Praxisfall
Der verwitwete E hat eine Tochter T und einen Sohn S. Der damals 72-jährige Vater E überträgt im Oktober 2012 im Wege der vorweggenommenen Erbfolge auf T ein Mehrfamilienhaus im Wert von 500.000,00 € und behält sich den lebenslangen Nießbrauch an der Immobilie vor. Der Jahreswert der Nutzung beträgt 20.000,00 €. Im Oktober 2016 schenkt er T einen Betrag von 400.000,00 €. Als E im Februar 2020 verstirbt, befindet sich nur noch ein Betrag von 100.000,00 € im Nachlass. Testamentarisch hat E seine Tochter T zu seiner Alleinerbin eingesetzt und S auf diese Weise enterbt. Der Wert des im Jahr 2012 übertragenen Objekts beläuft sich zum Zeitpunkt des Erbfalls auf 700.000,00 €.
Fragestellung
Der Berechnung des Pflichtteils wird der Bestand und der Wert des Nachlasses zur Zeit des Erbfalls zugrunde gelegt (§ 2311 Abs. 1 BGB). Der Wert des Nachlasses des E beträgt nur noch 100.000,00 €. Der Sohn S wurde durch das Testament von der Erbfolge ausgeschlossen, so dass er von der Alleinerbin T den Pflichtteil verlangen kann. Der Pflichtteil besteht in der Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils (§ 2303 Abs. 1 Satz 2 BGB). Der Pflichtteil beträgt 1/4, denn der gesetzliche Erbteil von S beläuft sich hier auf 1/2 Anteil. Hintergrund ist, dass die Ehegattin von E vorverstorben ist und S und T die einzigen Abkömmlinge des E sind, mithin gesetzliche Erben zu je 1/2 Anteil sind (§ 1924 Abs. 1, Abs. 4 BGB).
Im Ergebnis stünde S aufgrund seines Pflichtteils von 1/4 ein schuldrechtlicher Anspruch auf Zahlung von 25.000,00 € (1/4 aus 100.000,00 €) gegen die Alleinerbin T zu. Wenn die lebzeitigen Zuwendungen des Erblasser E an T unterblieben wären, hätte der Wert des Nachlasses 1.200.000,00 € betragen, so dass S immerhin ein Pflichtteilsanspruch in Höhe von 300.000,00 € zugestanden hätte.
Es stellt sich die Frage, wie die lebzeitigen Schenkungen des Erblassers im Rahmen der Pflichtteilsergänzung zu bewerten sind.
System der Pflichtteilsergänzung
Um zu verhindern, dass Erblasser zu Lebzeiten ihr gesamtes Vermögen unentgeltlich auf Dritte übertragen und auf diese Weise Ansprüche eines ungeliebten Pflichtteilsberechtigten ausschließen, hat der Gesetzgeber die Vorschrift des § 2325 BGB geschaffen. Es handelt sich um einen eigenständigen Anspruch auf Pflichtteilsergänzung, errechnet nach dem fiktiven Nachlass, der gemäß § 2325 BGB zu ermitteln ist. Dieser Anspruch tritt neben den klassischen Anspruch auf Zahlung des ordentlichen Pflichtteils nach § 2303 BGB, welcher demgegenüber anhand des tatsächlichen Nachlasses zum Stichtag Todestag errechnet wird.
§ 2325 BGB lautet
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Hat der Erblasser einem Dritten eine Schenkung gemacht, so kann der Pflichtteilsberechtigte als Ergänzung des Pflichtteils den Betrag verlangen, um den sich der Pflichtteil erhöht, wenn der verschenkte Gegenstand dem Nachlass hinzugerechnet wird.
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Eine verbrauchbare Sache kommt mit dem Werte in Ansatz, den sie zur Zeit der Schenkung hatte. Ein anderer Gegenstand kommt mit dem Werte in Ansatz, den er zur Zeit des Erbfalls hat; hatte er zur Zeit der Schenkung einen geringeren Wert, so wird nur dieser in Ansatz gebracht.
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Die Schenkung wird innerhalb des ersten Jahres vor dem Erbfall in vollem Umfang, innerhalb jedes weiteren Jahres vor dem Erbfall um jeweils ein Zehntel weniger berücksichtigt. Sind zehn Jahre seit der Leistung des verschenkten Gegenstandes verstrichen, bleibt die Schenkung unberücksichtigt. Ist die Schenkung an den Ehegatten erfolgt, so beginnt die Frist nicht vor der Auflösung der Ehe.
a) Inhalt des Pflichtteilsergänzungsanspruchs, § 2325 Abs. 1 BGB
Der von dem Erblasser an einen Dritten – auch an den Alleinerben – verschenkte Gegenstand ist gemäß § 2325 Abs. 1 BGB dem Nachlass hinzuzurechnen. Einschränkungen ergeben sich durch die Vorschriften des § 2325 Abs. 2 BGB und § 2325 Abs. 3 BGB. Von der Pflichtteilsergänzung sind darüber hinaus ausgenommen Schenkungen, durch die einer sittlichen Pflicht oder einer auf den Anstand zu nehmenden Rücksicht entsprochen wird (Hochzeitsgeschenke o. Ä.), § 2330 BGB.
b) Niederstwertprinzip, § 2325 Abs. 2 BGB
In § 2325 Abs. 2 BGB ist das sog. Niederstwertprinzip geregelt, das für nicht verbrauchte Gegenstände – insbesondere also Grundstücke – gilt. Danach sind bei der Berechnung des pflichtteilsergänzungsrelevanten Vermögens die Werte zum Zeitpunkt der lebzeitigen Zuwendung und zum Zeitpunkt des Erbfalls gegenüberzustellen. Der geringere Wert ist maßgeblich und der Pflichtteilsergänzung zugrunde zu legen. Eine Besonderheit besteht darin, dass der Wert zum Zeitpunkt der lebzeitigen Zuwendung anhand des von dem Statistischen Bundesamt veröffentlichten Verbraucherpreisindex zu indexieren ist auf den Zeitpunkt des Erbfalls, um eine inflationsbedingte Benachteiligung des Pflichtteilsberechtigten zu verhindern.
Hinweis
Gerade bei gemischten Schenkungen (Übergabe einer Immobilie gegen Nießbrauch oder Versorgungsrechte) spielt das Niederstwertprinzip eine wichtige Rolle. Ist der Wert zum Zeitpunkt des Erbfalls geringer als der indexierte Wert zum Zeitpunkt des Vollzugs der Schenkung, wird nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein bei der ursprünglichen Schenkung vereinbarter Nießbrauch nicht abgezogen. In der Literatur wird dieses Ergebnis als nicht nachvollziehbar kritisiert.
c) Abschmelzungsmodell und Zehnjahresfrist, § 2325 Abs. 3 BGB
Erhebliche Einschränkungen zulasten des Pflichtteilsberechtigten ergeben sich aus § 2325 Abs. 3 BGB.
- Bei lebzeitigen Schenkungen wird mit jedem vollen Jahr, das zwischen Schenkung und Erbfall verstreicht, die Anrechnungshöhe zulasten des Pflichtteilsberechtigten um jeweils ein Zehntel reduziert (sog. Abschmelzungsmodell), § 2325 Abs. 3 Satz 1 BGB.
- Sind zwischen der Schenkung und dem Erbfall mehr als zehn Jahre verstrichen, ist die Schenkung bei der Berechnung der Pflichtteilsergänzungsansprüche überhaupt nicht mehr zu berücksichtigen, § 2325 Abs. 3 Satz 2 BGB. Es handelt sich um eine der Rechtssicherheit dienende Ausschlussfrist.
Hinweis
Das Abschmelzungsmodell gilt nicht für Schenkungen an den Ehegatten, was häufig übersehen wird. Die für die Abschmelzung erforderliche Frist beginnt nicht vor der Auflösung der Ehe (§ 2325 Abs. 3 Satz 3 BGB). Daher ist die Schenkung an den Ehegatten während der Ehe in der Regel nicht geeignet, um Pflichtteilsansprüche zu reduzieren.
- Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs beginnt die Zehnjahresfrist des § 2325 Abs. 3 Satz 2 BGB nur dann zu laufen, wenn ein »echter Genussverzicht« vorliegt. Ein solcher echter Genussverzicht soll vorliegen, wenn das Geschenk endgültig aus dem wirtschaftlichen Vermögensbereich des Erblassers ausgegliedert wurde. Der Erblasser muss also darauf verzichtet haben, entweder aufgrund des Vorbehalts dinglicher Rechte oder durch die Vereinbarung schuldrechtlicher Ansprüche, den verschenkten Gegenstand im Wesentlichen weiternutzen zu dürfen. Die Vereinbarung eines Nießbrauchrechts oder eines Wohnrechts sowie die Vorbehaltung umfassender Rückforderungsrechte können insoweit dazu führen, dass noch keine Leistung i. S. d. § 2325 Abs. 3 Satz 2 BGB vorliegt und aus diesem Grund ausnahmsweise auch Schenkungen, die mehr als zehn Jahre vor dem Erbfall erfolgt sind, ergänzungspflichtig sind und sogar mit ihrem vollen Wert (100 %) zum Zeitpunkt des Erbfalls zugunsten des Pflichtteilsberechtigten in Ansatz zu bringen sind.
Lösung Praxisfall mit Beispielsberechnung
Im o. g. Praxisfall hat S gegen T einen Pflichtteilsanspruch aus § 2303 BGB auf Zahlung von 25.000,00 € (vgl. Ziffer 3). Zu der Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruch aus § 2325 BGB, der S aufgrund der lebzeitigen Schenkungen aus den Jahren 2012 und 2016 zusteht:
a) Pflichtteilsergänzung wegen Übertragung Mehrfamilienhaus im Oktober 2012 (damaliger Wert: 500.000,00 €, Wert z. Zt. des Erbfalls: 700.000,00 €) unter Vorbehalt des lebenslangen Nießbrauchs (Jahreswert: 20.000,00 €)
Hinsichtlich der Übertragung des Mehrfamilienhauses im Oktober 2012 ist zunächst zu ermitteln, mit welchem Wert die Schenkung zum Zeitpunkt der Zuwendung im Oktober 2012 zu berücksichtigen wäre. Der Wert aus Oktober 2012 (VPI: 97,1) – 500.000,00 € – ist hierzu auf den Zeitpunkt des Erbfalls im Februar 2020 (VPI: 105,6) zu indexieren. Der inflationsbereinigte Grundstückswert zum Zeitpunkt der Schenkung beträgt mithin 543.769,31 € (500.000,00 € : 97,1 x 105,6).
Der Wert des Grundstücks zum Zeitpunkt des Erbfalls beträgt 700.000,00 €.
Unter Anwendung des Niederstwertprinzips (§ 2325 Abs. 2 Satz 2 BGB) zeigt der Vergleich beider Werte, dass der Wert zum Zeitpunkt der Schenkung geringer war, als im Zeitpunkt des Erbfalls. Damit ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 118, 49) im nächsten Schritt der kapitalisierte Nutzungswert als Gegenleistung von dem Wert im Zeitpunkt der Schenkung abzuziehen. Die Zuwendung ist insoweit nur in dem Umfang in Ansatz zu bringen, „in dem der Wert des verschenkten Gegenstands den Wert der kapitalisierten verbliebenen Nutzung übersteigt“ (BGHZ 118, 49). Die herrschende Meinung ermittelt diesen Wert unter Anwendung von § 14 Abs. 1 BewG. Nach § 14 Abs. 1 BewG errechnet sich der abstrakte Nießbrauchwert durch Multiplikation des Kapitalwerts nach der Lebenserwartung des Berechtigten, hier des Erblassers, mit dem Jahreswert der Nutzung. Danach ergibt sich hier folgende Berechnung des tatsächlichen Werts der Schenkung unter Berücksichtigung des vorbehaltenen Nießbrauchrechts:
- Maßgeblicher Vervielfältiger gemäß Anlage § 14 Abs. 1 BewG (01.01.2012, s. u.): 9,053 (Lebensalter des Erblassers z. Zt. der Übertragung im Oktober 2012: 72 Jahre)
- Abstrakter Wert der vorbehaltenen Nutzung: Jahreswert 20.000,00 € x 9,053 = 181.060,00 €
- Nach Abzug des Werts der vorbehaltenen Nutzung ergibt sich folgender Wert der Zuwendung: 318.940,00 € (500.000,00 € – 181.060,00 €)
- Dieser Wert wäre inflationsbedingt wie folgt anzupassen: 318.940,00 € : 97,1 x 105,6 = 346.859,57 €
Anlage zu § 14 Abs. 1 BewG
Kapitalwert einer lebenslänglichen Nutzung oder Leistung im Jahresbetrag von einem Euro für Bewertungsstichtage ab 1. Januar 2012 (BMF v. 26.09.2011 – IV D 4 – S 3104/09/10001 BStBl 2011 I S. 834). Der Kapitalwert ist nach der am 20. September 2011 veröffentlichten Sterbetafel 2008/2010 des Statistischen Bundesamtes unter Berücksichtigung von Zwischenzinsen und Zinseszinsen mit 5,5 Prozent errechnet worden. Der Kapitalwert der Tabelle ist der Mittelwert zwischen dem Kapitalwert für jährlich vorschüssige und jährlich nachschüssige Zahlungsweise.
Männer | Frauen | |||
Vollendetes Lebensalter | Durchschnittliche Lebenserwartung | Kapitalwert | Durchschnittliche Lebenserwartung | Kapitalwert |
70 | 13,74 | 9,730 | 16,41 | 10,922 |
71 | 13,05 | 9,393 | 15,60 | 10,578 |
72 | 12,38 | 9,053 | 14,80 | 10,224 |
73 | 11,72 | 8,707 | 14,01 | 9,858 |
74 | 11,08 | 8,359 | 13,25 | 9,492 |
75 | 10,47 | 8,017 | 12,49 | 9,110 |
76 | 9,87 | 7,669 | 11,77 | 8,734 |
b) Pflichtteilsergänzung wegen Schenkung im Oktober 2016 über 400.000,00 €
Die Schenkung aus Oktober 2016 über 400.000,00 € ist mit 70 % ihres Werts – also mit 280.000,00 € – zu berücksichtigen, weil drei Jahre zwischen Schenkung und Erbfall verstrichen sind, § 2325 Abs. 3 BGB. Indexiert ergibt sich ein ergänzungsbedürftiger Wert von 292.173,91 € (VPI 10/2016: 101,2; VPI 02/2020: 105,6).
c) Zusammenfassung fiktiver Nachlass
Der fiktive, der Pflichtteilsergänzung zugrunde zu legende Nachlass beliefe sich danach auf 639.033,48 € (346.859,57 € + 292.173,91 €). S hat somit gegen die Alleinerbin T einen Pflichtteilsergänzungsanspruch auf Zahlung von 159.758,37 € (1/4 aus 639.033,48 €). Der Gesamtanspruch von S aus Pflichtteil und Pflichtteilergänzung beträgt 184.758,36 € (159.758,36 € + 25.000,00 €).
6. Praxistipps im Zusammenhang mit der Pflichtteilsergänzung
a) Anrechnungspflicht bei Eigengeschenken des Pflichtteilsberechtigten, § 2329 BGB
Der Alleinerbe oder ersatzweise – falls der Alleinerbe nach § 2329 Abs. 1 BGB nicht zur Ergänzung des Pflichtteils berechtigt ist – der Beschenkte sind den Pflichtteilsergänzungsansprüchen nicht schutzlos ausgesetzt. Häufig wird der Erblasser dem Pflichtteilsberechtigten – in der Regel seiner Tochter oder seinem Sohn – zu Lebzeiten ebenfalls Schenkungen, wenn auch in geringerer Höhe, zugewandt haben. Solche Zuwendungen sind dem Pflichtteilsberechtigten gemäß § 2327 Abs. 1 BGB auf die Ergänzung anzurechnen, und zwar ohne jede zeitliche Schranke.
Hinweis
Der Alleinerbe kann Pflichtteilsergänzungsansprüchen solche Schenkungen entgegenhalten, die der Pflichtteilsberechtigte selbst vom Erblasser erhalten hat, und zwar ohne dass diesbezüglich eine Zehnjahresfrist zu beachten wäre oder überhaupt eine zeitliche Schranke bestünde.
Hätte der Erblasser im Praxisfall dem S also z. B. im Jahr 2008 aufgrund finanzieller Schwierigkeiten einen Betrag von 20.000,00 € geschenkt, hätte sich S diese Schenkung anrechnen zu lassen. Sein Pflichtteilsergänzungsanspruch würde sich auf 139.758,36 € (159.758,36 € − 20.000,00 €) reduzieren, der Gesamtanspruch aus Pflichtteil und Pflichtteilergänzung auf 164.758,36 € (184.758,36 € − 20.000,00 €).
b) Verzicht auf Pflichtteilsergänzungsansprüche
Um späteren Streit unter den Abkömmlingen zu vermeiden, können Erblasser mit den Beteiligten zu Lebzeiten das Gespräch suchen. Gerade zu einem frühen Zeitpunkt vorgenommene Schenkungen können aufgrund der Zehnjahresfrist (§ 2325 Abs. 3 BGB) aus dem Anwendungsbereich der Pflichtteilsergänzung fallen. Deshalb wird der pflichtteilsberechtigte Abkömmling, dem eine solche Schenkung nicht zuteil wird, möglicherweise bereit sein, ggf. auch gegen Zahlung eines sofort fälligen Ausgleichsbetrages, auf Pflichtteilsergänzungsansprüche zu verzichten. Der Verzicht bedarf der notariellen Beurkundung.
Fazit
Die Regelungen über die Pflichtteilsergänzung (§§ 2325 ff. BGB) sollen abmildern, dass der Erblasser durch lebzeitige Schenkungen seinen Nachlass reduziert und damit die seinen nächsten Angehörigen durch das Pflichtteilsrecht garantierte Mindestbeteiligung am Nachlass aushöhlt. Dabei muss der Erblasser anders als bei den §§ 2287, 2288 BGB nicht in Benachteiligungsabsicht gehandelt haben. Es genügt der objektive Sachverhalt einer Schenkung innerhalb eines Zeitraums von zehn Jahren. Es gilt das Abschmelzungsmodell. Für jedes volle Jahr, das zwischen Schenkung und Erbfall verstreicht, reduziert sich die Anrechnungshöhe zu Lasten des Pflichtteilsberechtigten um jeweils ein Zehntel. Die Zehn-Jahres-Frist beginnt nur zu laufen, wenn der Erblasser endgültig auf den verschenkten Gegenstand verzichtet hat. Insbesondere bei Rechten, die sich der Erblasser vorbehalten hat, liegt ein echter Genussverzicht nicht vor.
Dr. Thomas Leuer und Dr. W.-P. Haarmann sind Fachanwälte für Erbrecht. Sie sind auf das streitige Erbrecht spezialisiert.
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