Das notarielle Nachlassverzeichnis – eine gute Option
In unserem aktuellen Artikel beleuchten wir die Thematik des notariellen Nachlassverzeichnisses und stellen einen praxisnahen Fall vor: Der enterbte Sohn S fordert von seiner Schwester T Einsicht in den Nachlass ihres verstorbenen Vaters, der in einer Verfügung seine Tochter als Alleinerbin eingesetzt hat. Die Unstimmigkeiten über den Wert des Nachlasses und auftretende Fragen zu vermuteten lebzeitigen Schenkungen verdeutlichen die Relevanz eines notariellen Nachlassverzeichnisses.
Wir erklären, welche Ansprüche Pflichtteilsberechtigte haben, darunter die Vorlage eines notariellen versus einem privaten Verzeichnis, und erörtern die möglichen Vor- und Nachteile jedes Verfahrens. Zudem geben wir wertvolle Praxistipps, wie Sie Ihre Position rechtlich stärken können.
Erfahren Sie mehr darüber, warum ein notarielles Nachlassverzeichnis oft die verlässlichere Wahl ist, insbesondere wenn Misstrauen zwischen Erben und Pflichtteilsberechtigten herrscht. Lesen Sie den vollständigen Artikel für umfassende Einblicke und praktische Hinweise.
Einleitung
Ist ein Abkömmling des Erblassers durch Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossen, so kann er von dem Erben den Pflichtteil verlangen. Der Pflichtteil besteht in der Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils (§ 2303 Abs. 1 BGB). Für die Höhe des Anspruchs ist entscheidend der Bestand des Nachlasses. Der Pflichtteil kann um lebzeitige Schenkungen des Erblassers an Dritte zu ergänzen sein. Das Gesetz gewährt dem Pflichtteilsberechtigten gegen den Erben zwar einen Anspruch gemäß § 2314 BGB auf Auskunft über den Nachlassbestand, dem Pflichtteilsberechtigten stehen jedoch nur eingeschränkte Informations- und Kontrollmöglichkeiten zur Verfügung. Er kann von dem Erben ein notarielles Nachlassverzeichnis verlangen oder auf die Richtigkeit eines privaten Verzeichnisses vertrauen. Was sinnvoll ist, behandelt dieser Beitrag.
Praxisfall
Der verwitwete Erblasser E verstirbt am 15.07.2022. Sein Nachlass besteht aus einem Mehrfamilienhaus und Barvermögen in Höhe von 200.000,- €. E hat in einer letztwilligen Verfügung seine Tochter T zu seiner alleinigen Erbin eingesetzt und seinen Sohn S enterbt. S verlangt von seiner Schwester T den Pflichtteil und für dessen Berechnung Auskunft über den Bestand des Nachlasses durch Vorlage eines privatschriftlichen Verzeichnisses. Außerdem fordert S von seiner Schwester T ein Gutachten als Grundlage für die Ermittlung des Verkehrswerts des Mehrfamilienhauses.
S ist mit den von T sodann erteilten Auskünften nicht einverstanden. Er moniert, dass im Nachlassverzeichnis Angaben zu lebzeitigen Schenkungen fehlen. Der Erblasser E habe noch im Jahr 2019 sein Einfamilienhaus aus Anlass des Umzugs in ein Pflegeheim für 500.000,- € verkauft. Der Kontostand im Zeitpunkt des Erbfalls in Höhe von 200.000,- € sei deshalb nicht plausibel. Schließlich sei das von T vorgelegte Exposé der Sparkasse zum Wert der Immobilie nicht belastbar. S fordert stattdessen die Vorlage eines Gutachtens eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen.
T antwortet, der Vater habe das Geld für sich verbraucht. Ein Anspruch auf Wertermittlung durch einen öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen bestehe nicht. S ist misstrauisch. Er vermutet lebzeitige Schenkungen des Erblassers an T.
Die Rechtsstellung des Pflichtteilsberechtigten
Das gesetzliche Pflichtteilsrecht soll den nächsten Angehörigen des Erblassers (Abkömmlinge, Eltern, Ehegatten) eine wertmäßige Mindestbeteiligung am Nachlass sichern, die der Erblasser grundsätzlich nicht einseitig entziehen kann. Der Pflichtteilsberechtigte, der nicht selbst Erbe ist, kann vom Erben Auskunft über den Bestand des Nachlasses verlangen (§ 2314 Abs. 1 Satz 1 BGB). Ohne diesen Anspruch würde der Pflichtteilsberechtigte regelmäßig die anspruchsbegründenden Tatsachen nicht kennen, weil ihm gegenüber Dritten (Grundbuchamt, Banken etc.) kein eigenes Auskunfts- oder Einsichtsrecht zusteht.
Die wichtigsten Ansprüche des Pflichtteilsberechtigten sind gerichtet auf:
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Vorlage eines privatschriftlichen Nachlassverzeichnisses (§ 2314 Abs. 1 Satz 1 BGB),
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Vorlage eines von einem Notar aufgenommenen Nachlassverzeichnisses (§ 2314 Abs. 1 Satz 3 BGB),
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Abgabe einer Versicherung an Eides statt hinsichtlich der Richtigkeit und Vollständigkeit der erteilten Auskünfte (§ 260 Abs. 2 BGB analog),
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Ermittlung des Werts der Nachlassgegenstände (§ 2314 Abs. 1 Satz 2 BGB),
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Zahlung des Pflichtteils (§ 2303 Abs. 1 Satz 1 BGB) einschließlich Pflichtteilsergänzung (§ 2325 Abs. 1 BGB).
Inhalt und Charakter des Nachlassverzeichnisses
Der Pflichtteilsberechtigte kann verlangen, dass ihm ein privatschriftliches Nachlassverzeichnis und ein von einem Notar aufgenommenes Nachlassverzeichnis vorgelegt wird.
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Die Auskunftserteilung des Erben im Rahmen eines privatschriftlichen Verzeichnisses ist nicht an eine bestimmte Form oder formale Gestaltung gebunden. Entscheidend ist, dass die inhaltlichen Auskünfte zu dem Bestand des Nachlasses richtig und vollständig sind.
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Darüber hinaus kann der pflichtteilsberechtigte Nichterbe gemäß § 2314 BGB zusätzlich die Aufnahme eines amtlichen Nachlassverzeichnisses verlangen. Dass der Erbe bereits ein privatschriftliches Verzeichnis vorgelegt hat, entbindet ihn nicht von der Verpflichtung, nach entsprechender Aufforderung ein notarielles Nachlassverzeichnis einholen zu müssen. Die Kosten eines notariellen Nachlassverzeichnisses fallen dem Nachlass zur Last nach § 2314 Abs. 2 BGB, reduzieren also den für die Berechnung maßgeblichen Wert des Nachlasses und werden mithin wirtschaftlich von dem Pflichtteilsberechtigten mitgetragen, und zwar in Höhe seiner Pflichtteilsquote.
Praxistipp
Notare erstellen nur ungern Nachlassverzeichnisse. Der Zeitaufwand ist erheblich und die Vergütung in der Regel unzureichend. Der Notar darf die Urkundstätigkeit nur aus triftigem Grund verweigern. Der allgemeine Hinweis auf eine hohe Arbeitsbelastung reicht nicht aus.
Gleichwohl sollte der Erbe, der den Notar wählen darf, zunächst bei mit dem Erbrecht vertrauten Notariaten anfragen, in welcher Zeit das Verzeichnis dort erstellt werden kann. Es liegt nämlich nicht in seinem Interesse, dass sich die Ermittlung des Nachlasses lange hinzieht. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Pflichtteilsberechtigte den Erben bereits durch ein anwaltliches Aufforderungsschreiben in Zahlungsverzug gesetzt hat.
Die von dem Erben am Ende zu zahlenden Zinsen liegen bei 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz, also derzeit 8,62 %.
Im Rahmen des privatschriftlichen oder notariellen Nachlassverzeichnisses hat der Erbe Auskünfte zum Stichtag Todestag insbesondere zu folgenden Positionen zu erteilen:
I. Informationen für die Bestimmung der Pflichtteilsquote
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Auskunft darüber, ob der Erblasser verheiratet war und – falls ja – in welchem Güterstand er zum Zeitpunkt seines Ablebens gelebt hat
II. Aktiva
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Grundstücke und grundstücksgleiche Rechte
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Unternehmensbeteiligungen
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Girokonten, Sparkonten, Wertpapierdepots, Schließfächer
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Kunstgegenstände, Schmuck, Edelmetalle, sonstige Wertsachen
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Forderungen (Darlehen, Steuererstattung)
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Lebensversicherungen
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Bargeld
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Hausrat und persönliche Gegenstände
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Kraftfahrzeuge
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Beteiligungen an Erbengemeinschaften
III. Passiva
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Erblasserschulden (Darlehensverbindlichkeiten, Steuerverbindlichkeiten, Unterhaltsverbindlichkeiten, sonstige Verbindlichkeiten)
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Erbfallschulden (Beerdigungskosten, Kosten Nachlassgericht/Notar/Rechtsanwalt)
IV. Fiktiver Nachlass
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lebzeitige Geldschenkungen des Erblassers (unentgeltliche bzw. teilunentgeltliche Zuwendungen, Pflicht- und Anstandsschenkungen, Ausstattungen, Eigengeschenke, Spenden etc.)
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Überlassungsverträge (lebzeitige Vermögensübertragungen, Einräumung von Rückforderungsrechten, Ausstattungen, Schenkungen unter Nutzungsvorbehalt, Überlassung von mietfreiem Wohnraum)
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Gewährung zinsfreier Darlehen oder von nicht marküblichen Darlehen
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Lebzeitiger Verzicht auf bestehende Rechte gegenüber dem Pflichtteilsberechtigten (z. B. Wohnungsrecht, Nießbrauch)
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Mittelbare Schenkungen (verdeckte Gewinnausschüttungen, überhöhtes Entgelt für mitarbeitende Angehörige, nachträgliche Vereinbarung von Entgeltlichkeit z. B. im Zusammenhang mit Pflege, Unterstützung bei der Erledigung von Aufgaben des täglichen Lebens)
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Zuwendung von Lebensversicherungen
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Verträge zugunsten Dritter (Bausparverträge, Hinterbliebenenversorgung aus betrieblicher Altersversorgung, Unfallversicherungen, Eintritts- und Nachfolgeklauseln, Sterbegeldversicherung)
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Erlass von Forderungen
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Hofübergabe
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Abfindungsvereinbarungen bei Erb- und Pflichtteilsverzichten
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Übertragung von Vermögen auf Stiftung
In der Praxis ist der sog. fiktive Nachlass sehr streitanfällig. Hat der pflichtteilsberechtigte Nichterbe auch diesbezüglich Auskunft verlangt, hat der Erbe Auskunft über jede Schenkung des Erblassers, die insbesondere nach § 2325 BGB pflichtteilsrelevant sein könnte, sowie ergänzungs- und ausgleichspflichtige Zuwendungen nach den §§ 2316 Abs. 1, 2052, 2055 Abs. 1 BGB einschließlich der Zuwendungen an den Pflichtteilsberechtigten selbst zu erteilen.
Pflichtteilsrelevante Schenkungen sind dabei entsprechend der Regelung in § 2325 Abs. 3 BGB grundsätzlich über einen Zeitraum von zehn Jahren vor dem Erbfall aufzuführen. Darüber hinaus sind – und zwar unabhängig von einer entsprechenden Frist – immer u. a. Zuwendungen an den Ehegatten, Schenkungen unter Vorbehalt von Nutzungsrechten aufzuführen.
Bestehen Zweifel, ob es sich um eine pflichtteilsrelevante Schenkung handelt, hat der Erbe bzw. der von ihm beauftragte Notar die Position in das Nachlassverzeichnis aufzunehmen. Dies gilt insbesondere für gemischte Schenkungen, Übergabeverträge mit vorbehaltenen Rechten sowie Schenkungen und Verträge zugunsten Dritter auf den Todesfall.
Praxistipp
Der Notar hat den Bestand des Nachlasses selbst und eigenständig zu ermitteln. Damit hat die Aufstellung eines notariellen Nachlassverzeichnisses einen höheren Grad an Verlässlichkeit, insbesondere bei der Ermittlung des fiktiven Nachlasses.
Aus diesem Grund sollte nur ausnahmsweise auf ein notarielles Nachlassverzeichnis verzichtet werden. Das kann sinnvoll sein, wenn der Bestand des Nachlasses zweifelsfrei feststeht.
In der Praxis ist die Versuchung des Erben aber groß, insbesondere bei dem fiktiven Nachlass lebzeitige Schenkungen des Erblassers zu verschweigen, wenn der Pflichtteilsberechtigte sich darauf beschränkt, nur ein privatschriftliches Nachlassverzeichnis zu fordern.
Abgrenzung zum Wertermittlungsanspruch
Im Rahmen der Auskunftsverpflichtung durch Vorlage eines Nachlassverzeichnisses ist der Erbe grundsätzlich noch nicht gehalten, den Wert der Nachlassgegenstände zu ermitteln. Er ist insoweit lediglich verpflichtet, die wertbildenden Faktoren anzugeben. Anders ist dies, wenn der Pflichtteilsberechtigte seinen Wertermittlungsanspruch nach § 2314 Abs. 1 Satz 2 BGB geltend macht. Das OLG Köln (ZEV 2006, 77 f., NJW 200, 625 f., OLGReport Hamm 2006, 190 f.) definiert den Anspruch aus § 2314 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 BGB wie folgt:
„Der Wertermittlungsanspruch … ist auf die Vorlage von Unterlagen und eines Bewertungsgutachtens gerichtet. Der Verpflichtete muss dem Berechtigten diejenigen Informationen zukommen lassen, die diesen in die Lage versetzen, ggf. unter Zuhilfenahme eines Sachverständigen, seinen Pflichtteilsanspruch berechnen zu können. Neben dem Anspruch auf Vorlage der relevanten Unterlagen besteht ein Anspruch auf Ausarbeitung und Vorlage eines Bewertungsgutachtens, wenn die dargelegten Informationen kein hinreichendes Bild über den Wert des Nachlasses ermöglichen. Das Gutachten ist durch einen unparteiischen Sachverständigen zu erstellen.“
Wenn sich aus den vorgelegten Unterlagen der Wert nicht ergibt, steht dem Pflichtteilsberechtigten ein Anspruch auf Ausarbeitung und Vorlage eines Bewertungsgutachtens zu. Das ist insbesondere bei Immobilien und Unternehmen der Fall. Dieses Gutachten dient nur der Information und nicht der Feststellung eines verbindlichen Wertes; im Fall des streitigen Fortgangs der Angelegenheit wird ein Gericht ggf. ein weiteres Gutachten einholen (Scherer, 2024, § 29 Rn. 386).
Der Sachverständige muss qualifiziert und unparteiisch sein, aber nicht öffentlich vereidigt und bestellt. Ein Kurzgutachten von Banken oder Maklern sowie die Bewertung des Finanzamtes nach dem BewG reichen nicht aus. Eine Besonderheit gilt für Hessen, der Wertermittlungsanspruch kann dort nach obergerichtlicher Rechtsprechung auch durch Vorlage einer ortgerichtlichen Schätzung des Grundstückswerts erfüllt werden (OLG Frankfurt a. M., NJW-RR 2022, 516 f.).
Verjährung
Die Ansprüche auf Vorlage des Nachlassverzeichnisses und Wertermittlung unterliegen jeweils einer eigenen Verjährung, die unabhängig voneinander eintreten kann. Grundsätzlich beträgt die Verjährungsfrist drei Jahre ab dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Pflichtteilsberechtigte von den anspruchsbegründenden Tatsachen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt hat (§ 199 Abs. 1 BGB).
Nach der Rechtsprechung des OLG Hamm kann eine erforderliche Kenntnis fehlen, wenn der Pflichtteilsberechtigte irrtümlich davon ausgeht, die ihn enterbende Verfügung sei unwirksam (OLG Hamm, Urt. v. 02.03.2023 – 10 U 108/21 (LG Bochum, Urt. v. 04.11.2021 – 8 O 434/19) = ErbR 2023, 876 f., ZEV 2024, 179; BeckRS 2023, 31348, FamRZ 2024, 152). Darauf, dass Erblasser E habe ihr das Geld geschenkt und sie habe die Überweisung an sich sodann im Auftrag und kraft Vollmacht des E ausgeführt, ist sie für die Schenkung beweispflichtig. Eine diesbezügliche Schenkung würde jedenfalls – unter den Voraussetzungen des § 2325 BGB – Pflichtteilsergänzungsansprüche des S begründen.
Das von T vorgelegte Exposé der Sparkasse zum Wert der Immobilie reicht nicht aus. Hingegen besteht auch kein Anspruch auf Wertermittlung durch einen öffentlich bestellten oder vereidigten Sachverständigen. Sind die Parteien anwaltlich vertreten, bietet es sich an, dass T und S sich auf einen Sachverständigen einigen. Damit kann Streit über die Richtigkeit des Gutachtens verhindert werden, der nicht selten entsteht, wenn ausschließlich der Erbe den Sachverständigen bestimmt hat. diese Umstände nach Auffassung des zur Entscheidung berufenen Gerichts vorliegen, sollte der Pflichtteilsberechtigte es nicht ankommen lassen. Die jeweiligen Ansprüche eines Pflichtteilsberechtigten sollten stattdessen mit ausreichendem zeitlichen Vorlauf geprüft und erforderlichenfalls gerichtlich geltend gemacht werden, um die Verjährung umfassend zu hemmen.
Bestimmte Ansprüche des Pflichtteilsberechtigten können kenntnisunabhängig bereits binnen drei Jahren ab dem Erbfall verjähren (§ 2332 BGB).
Lösung Praxisfall
S sollte sich anwaltlich vertreten lassen, um seine rechtlichen und wirtschaftlichen Interessen umfassend zu wahren, insbesondere auch um Verzugsschäden (insbesondere den Zinsschaden) geltend machen zu können und die Verjährung unter Kontrolle zu halten. Im ersten Schritt sollte S seine Schwester T auf Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses und – soweit noch nicht geschehen – ausdrücklich auf Zahlung in Anspruch nehmen, weil er Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der erteilten Auskünfte hat.
Der Notar ist verpflichtet, Einsicht in die vollständigen Kontoauszüge und sonstigen Bankunterlagen der zurückliegenden 10 Jahre zu nehmen. Auffällige Kontobewegungen hat der Notar in dem Nachlassverzeichnis zu dokumentieren. Ein eigener Anspruch des S auf Vorlage der Kontoauszüge besteht hingegen nicht.
Hat S Grund für die Annahme, dass auch die in dem notariellen Verzeichnis aufgeführten Auskünfte der T falsch oder unvollständig sind, kann er von T die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung analog zu § 260 Abs. 2 BGB verlangen. Unter bestimmten Voraussetzungen besteht auch eine Verpflichtung der T zur Ergänzung des notariellen Verzeichnisses. In diesem Bereich ist die Rechtsprechung insbesondere bei schwierigen Abgrenzungsfragen nicht einheitlich.
Hat der Notar bei Sichtung der Kontoauszüge Kontobewegungen festgestellt, die auf Schenkungen an T hinweisen, sollte S seine Schwester T auffordern, hierzu Stellung zu nehmen, insbesondere Auskunft über den Rechtsgrund der finanziellen Zuwendungen zu erteilen. Ob ein solcher Anspruch besteht, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Wichtig in diesem Zusammenhang ist regelmäßig, ob der Erblasser seine Bankgeschäfte noch selbst erledigen konnte. Handelte T aufgrund einer ihr von E erteilten Vollmacht, kann sie sich nicht auf den Hinweis beschränken, E habe das Geld für sich verbraucht. Erteilt T die Auskunft, der Erblasser E habe ihr das Geld geschenkt und sie habe die Überweisung an sich sodann im Auftrag und kraft Vollmacht des E ausgeführt, ist sie für die Schenkung beweispflichtig. Eine diesbezügliche Schenkung würde jedenfalls – unter den Voraussetzungen des § 2325 BGB – Pflichtteilsergänzungsansprüche des S begründen.
Das von T vorgelegte Exposé der Sparkasse zum Wert der Immobilie reicht nicht aus. Hingegen besteht auch kein Anspruch auf Wertermittlung durch einen öffentlich bestellten oder vereidigten Sachverständigen. Sind die Parteien anwaltlich vertreten, bietet es sich an, dass T und S sich auf einen Sachverständigen einigen. Damit kann Streit über die Richtigkeit des Gutachtens verhindert werden, der nicht selten entsteht, wenn ausschließlich der Erbe den Sachverständigen bestimmt hat.
Fazit
Für die Höhe des Pflichtteilsanspruchs ist entscheidend der Bestand des Nachlasses. Lebzeitige Schenkungen des Erblassers sind im Rahmen des fiktiven Nachlasses regelmäßig zu berücksichtigen. Damit der Pflichtteilsberechtigte seinen Anspruch berechnen kann, hat er Anspruch auf ein privatschriftliches oder auf ein notarielles Verzeichnis über den realen und fiktiven Nachlass. Weil der Notar nicht nur auf die Angaben des Erben vertrauen darf, sondern verpflichtet ist, selbst zu ermitteln, ist in vielen Fällen das notarielle Nachlassverzeichnis die bessere Wahl. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Pflichtteilsberechtigte dem Erben misstraut. Dann bietet das notarielle Nachlassverzeichnis deutlich mehr Verlässlichkeit. Der Wertermittlungsanspruch ist ein eigenständiger Anspruch neben dem Auskunftsanspruch. Er muss von dem Pflichtteilsberechtigten – ebenso wie der Zahlungsanspruch selbst – ausdrücklich, nachweisbar und rechtzeitig geltend gemacht werden.
Dr. Thomas Leuer und Dr. W.-P. Haarmann sind Fachanwälte für Erbrecht. Sie sind auf das streitige Erbrecht spezialisiert.
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