Die Kardinalpflichten des Testamentsvollstreckers
In der komplexen Welt des Erbrechts spielt der Testamentsvollstrecker eine entscheidende Rolle, insbesondere hinsichtlich der rechtlichen Pflichten, die ihm auferlegt werden. In unserem neuesten Artikel beleuchten wir umfassend die Kardinalpflichten eines Testamentsvollstreckers anhand eines anschaulichen Praxisfalls: Hier sehen wir, wie der Testamentsvollstrecker eines Erblassers in Münster grundlegende Aufgaben versäumt, was zu Spannungen zwischen den Erben führt.
Wenn Sie Fragen zur Rolle und Verantwortung eines Testamentsvollstreckers haben oder sich in einer ähnlichen Situation befinden, erhalten Sie wertvolle Informationen zu Ihren Rechten und Handlungsmöglichkeiten. Wir klären auf, wie Sie auf Pflichtverletzungen reagieren können und welche Schritte zur Sicherstellung Ihrer Ansprüche notwendig sind.
Lesen Sie den vollständigen Artikel, um mehr über die Pflichten des Testamentsvollstreckers und Ihre Rechte als Erbe zu erfahren.
Einleitung
Der Testamentsvollstrecker fungiert in der erbrechtlichen Praxis häufig als „verlängerter Arm“ des Erblassers. Aufgrund der besonderen Bedeutung seines Amtes haben der Gesetzgeber und die Rechtsprechung dem Testamentsvollstrecker mehrere Kardinalpflichten auferlegt. Der Artikel gibt einen Überblick über diese Pflichten, die allgemeine Stellung des Testamentsvollstreckers und sein Rechtsverhältnis zu den Beteiligten (Erben, Vermächtnisnehmer etc.) und fasst typische Streitpunkte zusammen.
Praxisfall
Der Erblasser E stirbt im Jahr 2022 in Münster. In den Nachlass fallen sowohl zwei Immobilien in Münster als auch Bank- und Depotvermögen in Deutschland und im europäischen Ausland. E hinterlässt ein Testament, in welchem er seinen Sohn S als Alleinerben einsetzt und verfügt, dass seine Tochter T das Bar- und Depotvermögen in Deutschland und im europäischen Ausland als Vermächtnisnehmerin erhalten soll. Darüber hinaus sieht das Testament des E vor, dass sein Bruder B Testamentsvollstrecker werden soll. B soll eine monatliche Vergütung von 1.000,- EUR für seine Tätigkeit erhalten und nicht verpflichtet sein, ein Nachlassverzeichnis zu errichten. B erklärt gegenüber dem Nachlassgericht die Annahme des Amtes und unternimmt zunächst nichts. Auf Nachfrage von S und T erklärt B, dass er derzeit beruflich sehr eingespannt sei, er werde das Testament aber beizeiten umsetzen. Im vermuteten Einverständnis von S und T habe er dem Patenkind des Erblassers vorab dessen Armbanduhr in fünfstelligem Wert geschenkt und selbst dem Nachlass vorab einen Vorschuss in Höhe von 10.000,- EUR im Hinblick auf seine Vergütung entnommen. Auf Nachfrage von T erklärt B, noch nicht zu wissen, bei welchen Banken der Erblasser Konten und Depots hatte. Banken im Ausland würden ihm ja ohnehin keine Auskunft erteilen. Auch die beiden Immobilien in bester Lage stehen nach dem Auszug von Mietern zum Teil leer und das Finanzamt mahnt gegenüber S die Abgabe der Erbschaftsteuererklärung an.
Was können S und T tun?
Rechtsverhältnis des Testamentsvollstreckers zu den Erben
Zwischen dem Testamentsvollstrecker und den Erben besteht ein besonderes gesetzliches Schuldverhältnis, dessen Inhalt insbesondere in den § 2215 bis § 2221 BGB geregelt ist. Zentrales Merkmal des Schuldverhältnisses ist die Verfügungsbeschränkung der Erben nach § 2211 BGB. Danach steht ausschließlich dem Testamentsvollstrecker, nicht dem oder den Erben, die Verfügungsbefugnis über den Nachlass zu. Zu unentgeltlichen Verfügungen ist der Testamentsvollstrecker jedoch grundsätzlich nicht berechtigt, § 2205 Satz 3 BGB.
Kardinalpflichten des Testamentsvollstreckers
Die zentralen Pflichten, die der Testamentsvollstrecker im Rahmen des Schuldverhältnisses zu erfüllen hat, sind in den §§ 2215 bis 2219 BGB geregelt. Der Erblasser kann den Testamentsvollstrecker von den zentralen Verpflichtungen aus § 2215, § 2216, § 2218 und § 2219 BGB nicht befreien, es handelt sich gemäß § 2220 BGB um zwingendes Recht.
- Der Testamentsvollstrecker ist nach § 2215 BGB unverzüglich nach Annahme seines Amtes und unaufgefordert verpflichtet, ein (jedenfalls vorläufiges) Verzeichnis über die seiner Verwaltung unterliegenden Nachlassgegenstände und der bekannten Nachlassverbindlichkeiten zu erstellen und den Erben mitzuteilen. Der Testamentsvollstrecker hat in das Verzeichnis sämtliche der Testamentsvollstreckung unterliegenden Nachlassgegenstände sowie sämtliche Aktiva und Passiva aufzunehmen. Wertangaben sind grundsätzlich nicht aufzunehmen, es sei denn, es handelt sich um objektive, z. B. anhand eines objektiven Sachverständigengutachtens stichtagsbezogene und unstreitige Werte. Vorschenkungen des Erblassers sollten nicht aufgenommen werden. Es ergeben sich insoweit große Unterschiede zu dem Inhalt eines Nachlassverzeichnisses nach §§ 2314, 259 f. BGB, das der Pflichtteilsberechtigte von dem Erben verlangen kann. In zeitlicher Hinsicht kommt es dabei auch nicht darauf an, ob für den Testamentsvollstrecker Bearbeitungsschwierigkeiten im Zusammenhang mit der Ermittlung des Nachlasses bestehen. Er muss unverzüglich – ohne schuldhaftes Zögern – zumindest ein vorläufiges Nachlassverzeichnis vorlegen. Als Stichtag des Nachlassverzeichnisses ist der Tag der Annahme des Amtes als Testamentsvollstrecker zugrunde zu legen. Spätere Veränderungen sind nach herrschender Meinung aufzunehmen, sollten jedoch aus Gründen der Übersichtlichkeit als solche gekennzeichnet werden. Auf den Stichtag Erbfall kommt es allein im Zusammenhang mit der Erbschaftsteuer an. Das Nachlassverzeichnis ist von dem Testamentsvollstrecker persönlich zu unterschreiben und mit der Angabe des Tages der Aufnahme zu versehen, § 2215 Abs. 2 BGB. Ein Wegfall der Pflicht zur Vorlage des Nachlassverzeichnisses kommt allein dann in Betracht, wenn nach Eintritt des Erbfalls sämtliche von der Testamentsvollstreckung betroffenen Erben gegenüber dem Testamentsvollstrecker auf die Vorlage verzichten.
- Gemäß § 2216 Abs. 1 BGB ist der Testamentsvollstrecker verpflichtet, den Nachlass ordnungsgemäß zu verwalten, wobei der Testamentsvollstrecker nach § 2216 Abs. 2 BGB etwaige von dem Erblasser für die Verwaltung durch letztwillige Verfügung getroffenen Anordnungen zu beachten hat.
- Nach § 2217 BGB hat der Testamentsvollstrecker Nachlassgegenstände, die er zur Erfüllung seiner Obliegenheiten offenbar nicht mehr benötigt, dem Erben auf Verlangen zur freien Verfügung zu überlassen. Von dieser gesetzlichen Vorgabe darf der Erblasser den Testamentsvollstrecker ausnahmsweise befreien, § 2220 BGB.
- Der Testamentsvollstrecker hat bei länger dauernder Verwaltung dem Erben auf Verlangen jährlich Rechnung zu legen (§ 2218 Abs. 2 BGB), für den übrigen Inhalt des Rechtsverhältnisses finden die Auftragsvorschriften nach §§ 664, 666 bis 668, 670, 673 Satz 2 und 674 BGB entsprechende Anwendung.
- Verletzt der Testamentsvollstrecker eine der ihm obliegenden Pflichten schuldhaft, haftet er den Erben und auch dem Vermächtnisnehmer gegenüber für den daraus entstandenen Schaden nach § 2219 Abs. 1 BGB. Es kann im Einzelfall auch eine mittelbare Haftung gegenüber Pflichtteilsberechtigten in Betracht kommen.
Verstößt der Testamentsvollstrecker gegen eine wesentliche Pflicht, kann darin ein wichtiger Grund für seine Entlassung nach § 2227 BGB liegen.
Konstituierung des Nachlasses und Auseinandersetzung
Als Ausfluss seiner Pflichten zur Vorlage des Nachlassverzeichnisses (§ 2215 BGB) und der ordnungsgemäßen Verwaltung (§ 2216 BGB) ist der Testamentsvollstrecker berechtigt, den Nachlass in Besitz zu nehmen, § 2205 Satz 2 BGB. Im Rahmen der Konstituierung des Nachlasses hat der Testamentsvollstrecker zudem die von dem Erblasser herrührenden Verbindlichkeiten zu ermitteln und hierzu eine Regelung herbeizuführen. Darüber hinaus hat der Testamentsvollstrecker die Kosten der Beerdigung und des Grabsteins zu begleichen. Schließlich ist der Testamentsvollstrecker verpflichtet, die Erbschaftsteuer und die sonstigen steuerlichen Pflichten des Erblassers zu regeln.
Die Auseinandersetzung einer Erbengemeinschaft kann erst erfolgen, wenn der Nachlass teilungsreif ist und keine Anordnung des Erblassers entgegensteht. Der Testamentsvollstrecker hat dabei die Auseinandersetzung unter Miterben nach der Maßgabe der §§ 2042 bis 2057a BGB zu bewirken (§ 2204 BGB). Dabei handelt es sich um die Regelaufgabe des Testamentsvollstreckers. Der Testamentsvollstrecker hat hierzu einen Auseinandersetzungsplan aufzustellen, der ein einseitiges Rechtsgeschäft darstellt, welches keinen Formanforderungen unterliegt. Erst im Rahmen des Vollzugs des Auseinandersetzungsplans können besondere Formanforderungen zu beachten sein. So ist für die Auflassung von Grundstücken die notarielle Beurkundung erforderlich. Der Nachlass ist, wie in § 2047 BGB vorgesehen, an die Erben zu verteilen. Teilbar sind z. B. Geld, Wertpapiere, Forderungen, Geschäftsanteile und – je nach Lage, Zuschnitt und sonstigen – Eigenschaften auch unbebaute Grundstücke. Unteilbar sind z. B. Hausgrundstücke. Der Auseinandersetzungsplan ist verbindlich, wenn der Testamentsvollstrecker den Inhalt als endgültig maßgeblich erklärt. Die Erben sind vor der Ausführung zu hören, § 2204 Abs. 2 BGB. Es wird allein eine schuldrechtliche Verpflichtung begründet, die noch dinglich vollzogen werden muss.
Vergütung des Testamentsvollstreckers
Im Rahmen des gesetzlichen Schuldverhältnisses treffen den Testamentsvollstrecker nicht nur Pflichten, sondern stehen ihm auch Rechte zu. So hat der Testamentsvollstrecker gemäß § 2205 BGB einen Anspruch auf Inbesitznahme des Nachlasses, mithin einen Anspruch gegen den Erben auf Herausgabe von Nachlassgegenständen, falls diese in seinem Besitz stehen. Zudem stehen dem Testamentsvollstrecker Ansprüche auf Aufwendungsersatz (§§ 2218, 670 BGB) und eine Vergütung (§ 2221 BGB) zu. Gemäß § 2221 BGB kann der Testamentsvollstrecker für die Führung seines Amts eine angemessene Vergütung verlangen, wenn der Erblasser nicht etwas anderes bestimmt hat. Die Erblasseranordnung hat also Vorrang, wenn der Erblasser zu der Vergütung eine Regelung getroffen hat. Eine Angemessenheitsprüfung findet dann nicht statt. Ob die Höhe der Vergütung angemessen ist, unterliegt allein dann einer – ggf. gerichtlichen – Überprüfung, wenn der Erblasser keine Anordnung getroffen hat. Die Vergütung des Testamentsvollstreckers wird – ebenfalls vorbehaltlich einer anderslautenden Verfügung des Erblassers – grundsätzlich erst fällig mit der Beendigung des Amtes bzw. der Erledigung seiner Aufgaben. Der Testamentsvollstrecker kann – anders als ein Steuerberater (§ 8 StBVV) oder Rechtsanwalt (§ 9 RVG) – allenfalls in Ausnahmefällen einen Vorschuss erhalten, ein diesbezüglicher Anspruch besteht nicht.
Nachweis der Stellung des Testamentsvollstreckers im europäischen Ausland
Ein nach deutschem Recht in einem Testament ernannter Testamentsvollstrecker kann sich für den Nachlass im europäischen Ausland durch Vorlage eines Europäischen Nachlasszeugnisses legitimieren (Art. 62 EuErbVO).
Lösung Praxisfall
T und S können einen Antrag auf Entlassung des Testamentsvollstreckers B stellen. B hat in seiner Eigenschaft als Testamentsvollstrecker wesentliche Pflichten verletzt, so dass ein wichtiger Grund für seine Entlassung nach § 2227 BGB vorliegen dürfte.
- B hat dem Erben S kein Nachlassverzeichnis übermittelt und dadurch seine Pflicht aus § 2215 Abs. 1 BGB verletzt. Es bedurfte keiner vorherigen Aufforderung durch S.
- B hat den Nachlass nicht ordnungsgemäß verwaltet und dadurch gegen § 2205 Satz 1 BGB verstoßen, indem er die Immobilien nicht vermietet hat, die Konten und Depots des Erblassers nicht ermittelt hat und auch nicht dafür Sorge getragen hat, dass die Erbschaftsteuererklärung rechtzeitig eingereicht wird.
- Zudem liegt ein Verstoß des B gegen § 2205 Satz 3 BGB vor. B durfte keine unentgeltlichen Verfügungen über den Nachlass vornehmen und dem Patenkind des Erblassers deshalb nicht die Armbanduhr schenken.
- B war auch nicht berechtigt, einen Vorschuss in Höhe von 10.000,- EUR zu entnehmen.
Der Nachfolger des B im Amt des Testamentsvollstreckers wird die Erteilung eines Europäischen Nachlassverzeichnisses beantragen, um sich auch gegenüber den depotführenden Banken im europäischen Ausland legitimieren zu können.
Darüber hinaus dürfte der B zumindest dem S gegenüber auf Schadensersatz in Höhe der entgangenen Mieten haften. Hätte B seine Pflichten erfüllt, hätten die Wohnungen zeitnah neu vermietet werden können. Zwar unterliegt die Höhe der Testamentsvollstreckervergütung keiner Angemessenheitsprüfung, wenn der Erblasser – wie hier – die Höhe in seinem Testament bestimmt hat. B könnte hier jedoch – weil er überhaupt nicht im Sinne des Erblassers tätig geworden ist – seinen Vergütungsanspruch ausnahmsweise verwirkt haben.
Fazit
Die Testamentsvollstreckung ist im Gesetz umfassend geregelt (§§ 2197 ff. BGB). Die Verfügungsbefugnis über den Nachlass steht ausschließlich dem Testamentsvollstrecker zu (§ 2211 BGB). Zu den wesentlichen Pflichten des Testamentsvollstreckers gehören die Erstellung eines Nachlassverzeichnisses und die Aufstellung eines Auseinandersetzungsplans. Verstößt der Testamentsvollstrecker gegen diese Pflichten, kann er auf Antrag eines der Beteiligten aus dem Amt entlassen werden. Der Testamentsvollstrecker hat Anspruch auf eine angemessene Vergütung. Regelungen des Erblassers haben insoweit immer Vorrang. Die Vergütung ist grundsätzlich erst fällig mit der Beendigung des Amtes.
Dr. Thomas Leuer und Dr. W.-P. Haarmann sind Fachanwälte für Erbrecht. Sie sind auf das streitige Erbrecht spezialisiert.
Dr. Peus · Dr. Leuer · Dr. Haarmann
Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB · Notar
Universitätsstr. 30
48143 Münster
Telefon +49 (0)251 48273-0
Telefax +49 (0)251 48273-29
anwaelte@peus-partner.de
www.peus-partner.de