Die gesetzliche Erbfolge: Das Erbrecht der Verwandten, Ehegatten und Lebenspartner

In der aktuellen Ausgabe von „Erbrecht – Ihr Fall“ beleuchten wir die gesetzliche Erbfolge und ihre weitreichenden Konsequenzen für Ehepartner. Anhand eines eindrücklichen Praxisfalls zeigen wir, wie die fehlende testamentarische Regelung einer kinderlosen Ehefrau zur ungewollten Erbengemeinschaft zwischen dem überlebenden Ehemann und dem Bruder der Verstorbenen führt. Was bedeutet das für den überlebenden Ehemann in Bezug auf sein Erbe und die Verwaltung des Nachlassvermögens? Welche Rechte hat er tatsächlich, und wie kann eine Teilungsversteigerung drohen? Unser Artikel informiert Sie über die rechtlichen Rahmenbedingungen, die zur Vermeidung solcher unerwarteten Komplikationen essenziell sind.

Lesen Sie weiter, um zu erfahren, wie Sie Ihre erbrechtlichen Ansprüche optimal absichern können.

Einleitung

Die zentrale Rechtsfolge des Erbrechts ist der Übergang des Vermögens auf den Erben als Gesamtrechtsnachfolger (§ 1922 Abs. 1 BGB). Wer Erbe ist, bestimmt sich nach der Erbfolge. Die Erbfolge kann auf einer ausdrücklichen Anordnung des Erblassers beruhen (sog. gewillkürte Erbfolge) oder sich „aus dem Gesetz“ ableiten (sog. gesetzliche Erbfolge). Durch die Regelungen zur gesetzlichen Erbfolge wird sichergestellt, dass das Vermögen des Erblassers – wenn dieser keine anderslautende Verfügung trifft – auf ihm nahestehende Personen übergeht. Die gesetzliche Erbfolge hat in der Praxis noch immer eine erhebliche Bedeutung, weil die überwiegende Anzahl der Erblasser kein Testament hinterlässt und die gesetzliche Erbfolge darüber hinaus Berechnungsgrundlage für Pflichtteilsansprüche ist, soweit der Erblasser den überlebenden Ehegatten oder Abkömmlinge testamentarisch enterbt hat. Der Artikel stellt die Grundsätze der gesetzlichen Erbfolge und ihre praktische Anwendung vor.

Der Praxisfall

Die kinderlosen Eheleute A und B sind seit 40 Jahren in Zugewinngemeinschaft verheiratet. Sie leben in einer eigenen Wohnung in Münster. Die Ehefrau A stirbt nach kurzer, schwerer Krankheit im Alter von 65 Jahren. Sie hinterlässt kein Testament, weil sie davon ausgegangen war, dass B als ihr Ehegatte ohnehin ihr gesamtes Vermögen erben wird.

Um die Immobilie und die Konten auf sich umschreiben zu lassen, benötigt B einen Erbschein. Er stellt einen Erbscheinsantrag beim Nachlassgericht. Pflichtgemäß erteilt B dem Nachlassgericht die Auskunft, dass die Erblasserin kinderlos verstorben ist, ihre Eltern vorverstorben sind, aber ihr Bruder C in Berlin lebt. Zu diesem Bruder hatte die Erblasserin seit 20 Jahren keinen Kontakt mehr. Beide waren zerstritten. Das Nachlassgericht weist den Erbscheinsantrag mit der Begründung zurück, B sei nicht Alleinerbe seiner Ehefrau geworden, sondern – gemeinsam mit C – lediglich Miterbe. B ist entsetzt.

Gesetzliche Grundlagen: Parentelsystem

Das deutsche Recht kennt drei Gruppen von gesetzlichen Erben:

  • die Verwandten (§ 1924 ff. BGB),

  • den Ehegatten/Lebenspartner (§ 1931 BGB, § 10a Abs. 1, 2 LPartG),

  • den Staat (§ 1936 BGB).

Bezogen auf die Verwandten des Erblassers (§ 1924 ff. BGB) nimmt das Parentelsystem eine Einstufung in verschiedene Ordnungen vor. Ausschlaggebend für den erbrechtlichen Status einer Person ist dabei der Grad ihrer Abstammung. Je direkter das Verwandtschaftsverhältnis der Person zu dem Erblasser ist, desto höher ist die für sie geltende Ordnung und damit die Wahrscheinlichkeit, dass sie gesetzlicher Erbe wird (vgl. BeckOK 2021, § 1924 Rn. 11 f.).

Der Grundsatz der Erbfolge nach Stämmen gestaltet sich wie folgt:

  • Gesetzliche Erben der ersten Ordnung (§ 1924 Abs. 1 BGB): Jedes Kind (des Erblassers) bildet gemeinsam mit seinen Nachkommen einen Stamm.

  • Gesetzliche Erben der zweiten Ordnung (§ 1925 Abs. 1 BGB): Jeder Elternteil (des Erblassers) bildet gemeinsam mit seinen Nachkommen einen Stamm.

  • Gesetzliche Erben der dritten Ordnung (§ 1926 Abs. 1 BGB): Jeder Großelternteil (des Erblassers) bildet entsprechend mit seinen Nachkommen einen Stamm.

  • Gesetzliche Erben der vierten Ordnung (§ 1928 Abs. 1 BGB): Jeder Urgroßelternteil (des Erblassers) bildet mit seinen jeweiligen Nachkommen einen Stamm.

Das Vorhandensein von Erben einer niedrigeren Ordnung schließt die Erben einer höheren Ordnung gemäß § 1930 BGB von der Erlangung einer Erbenstellung aus.

§ 1930 BGB Rangfolge der Ordnungen

„Ein Verwandter ist nicht zur Erbfolge berufen, solange ein Verwandter einer vorhergehenden Ordnung vorhanden ist.“

Durch dieses System wird in der Regel ein Anfall des Erbes in der jüngeren Generation erreicht, d. h. der Nachlass soll nach gesetzgeberischer Intention die Zukunftssicherung der Abkömmlinge des Erblassers sicherstellen, soweit er nicht der Absicherung des überlebenden Ehegatten dient (§ 1931 BGB).

Das gesetzliche Erbrecht des überlebenden Ehegatten oder Lebenspartners ist in § 1931 BGB, § 10a Abs. 1, 2 LPartG normiert. Danach ist der überlebende Ehegatten neben Verwandten der ersten Ordnung zu einem Viertel, neben Verwandten der zweiten Ordnung oder neben Großeltern zur Hälfte der Erbschaft als gesetzlicher Erbe berufen, § 1931 Abs. 1 Satz 1 BGB. Leben die Ehegatten im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft, was stets der Fall ist, wenn die Ehegatten ehevertraglich keinen anderen Güterstand vereinbart haben, steht dem überlebenden Ehegatten darüber hinaus ein Erbteil von 1/4 als pauschaliertem Zugewinn zu, § 1931 Abs. 3 i. V. m. § 1371 BGB.

Beispiel

X stirbt und hinterlässt ihren Ehegatten Y und die beiden Töchter T1 und T2. Es existiert kein Ehevertrag oder Testament.

T1 und T2 sind als Töchter von X gesetzliche Erben der ersten Ordnung. Sie sind Erben zu je 1/4 Anteil, Y ist Erbe zu 1/2 Anteil, § 1924 Abs. 1, 4, § 1931 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 BGB.

Nur Verwandte erster und zweiter Ordnung sowie Großeltern können gesetzliche Miterben des Ehegatten sein. Sind weder Verwandte der ersten oder der zweiten Ordnung noch Großeltern vorhanden, so erhält der überlebende Ehegatte die ganze Erbschaft, § 1931 Abs. 2 BGB.

Ist zur Zeit des Erbfalls kein Verwandter, Ehegatte oder Lebenspartner des Erblassers vorhanden, erbt das Land, in dem der Erblasser zur Zeit des Erbfalls seinen letzten Wohnsitz bzw. seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, § 1936 BGB (gesetzliches Erbrecht des Staates).

Systematik: Vorrang der gewillkürten Erbfolge

Das Erbrecht gewährt dem Erblasser die Möglichkeit, über die Erbfolge nach seinem Tod frei zu bestimmen, indem er ein Testament errichtet. Die gewillkürte Erbfolge (§§ 1937, 1941 BGB) geht der gesetzlichen Erbfolge stets vor. Diese Testierfreiheit ist Ausfluss der auch im Erbrecht geltenden Privatautonomie und wird lediglich durch das Pflichtteilsrecht, den erbrechtlichen Form- und Typenzwang, die §§ 134, 138 BGB sowie verschiedene Gesetze (z. B. § 14 HeimG) eingeschränkt.

Die gesetzliche Erbfolge (§§ 1924 bis 1936 BGB) gilt allein dann, wenn der Erblasser nicht oder nicht wirksam durch Testament, gemeinschaftliches Testament oder Erbvertrag über sein Vermögen verfügt hat. Dies ist der Fall,

  • wenn eine Verfügung von Todes wegen gänzlich fehlt oder diese keine Erbeinsetzung, sondern nur Vermächtnisse (§ 1939 BGB) oder Auflagen (§ 1940 BGB) enthält,
  • wenn die Erbeinsetzung, z. B. mangels Testierfähigkeit des Erblassers (§ 2229 Abs. 4 BGB) oder wegen Formmangels (§§ 2232, 2247, 2276 BGB) nichtig ist,
  • wenn sie aus anderen Gründen, z. B. wegen Vorversterbens (§1923 Abs. 1 BGB) oder Erbverzichts (§§ 2346, 2352 BGB) des Eingesetzten unwirksam ist,
  • wenn die Erbeinsetzung wirksam angefochten ist (§§ 2078 ff. BGB, 2281 ff. BGB),
  • wenn der Erblasser die Erbeinsetzung gültig widerrufen hat (§§ 2253 ff. BGB), ohne dass dadurch eine frühere Verfügung in Kraft gesetzt wurde,
  • wenn der Eingesetzte das Erbe ausschlägt (§ 1953 BGB) oder für erbunwürdig erklärt wird (§ 2344 BGB), vgl. Scherer, 2018, §§ 4 Rn. 24 f.

Lösung Praxisfall

Die Erblasserin A hat kein Testament hinterlassen, so dass die gesetzliche Erbfolge gilt. Der Umfang des gesetzlichen Erbrechts des überlebenden Ehegatten B richtet sich nach § 1931 BGB. Da die Eltern der A vorverstorben sind, ist ihr Bruder C hier gesetzlicher Erbe der zweiten Ordnung (§ 1925 Abs. 1 BGB).

§ 1925 BGB Gesetzliche Erben zweiter Ordnung

(1) Gesetzliche Erben der zweiten Ordnung sind die Eltern des Erblassers und deren Abkömmlinge. …
(3) Lebt zur Zeit des Erbfalls der Vater oder die Mutter nicht mehr, so treten an die Stelle des Verstorbenen dessen Abkömmlinge nach den für die Beerbung der in der ersten Ordnung geltenden Vorschriften.

§ 1931 BGB Gesetzliches Erbrecht des Ehegatten

(1) Der überlebende Ehegatte des Erblassers ist neben Verwandten der ersten Ordnung zu einem Viertel, neben Verwandten der zweiten Ordnung oder neben Großeltern zur Hälfte der Erbschaft als gesetzlicher Erbe berufen.

Danach ist der überlebende Ehegatte B neben seinem Schwager C zur Hälfte der Erbschaft als gesetzlicher Erbe berufen. Darüber hinaus entfällt ein Erbteil von 1/4 auf B als pauschalierter Zugewinn gemäß § 1931 Abs. 3 i. V. m. § 1371 Abs. 1 BGB. Folglich ist B Erbe zu 3/4 Anteil, sein Schwager C Erbe zu 1/4 Anteil.

Im Praxisfall werden danach folgende Eintragungen in das Grundbuch der Immobilie vorzunehmen sein:

Immobilie bislang Neu
1/2 Miteigentumsanteil Eigentümer B Eigentümer B
1/2 Miteigentumsanteil Eigentümer A B und C in Erbgemeinschaft nach A

Die fatalen Folgen für den überlebenden Ehegatten

Das Nachlassgericht wird keinen Erbschein erteilen, wonach B Alleinerbe der A geworden wäre. B benötigt jedoch zwingend einen Erbschein, um das Grundbuch bzw. die Konten überhaupt umschreiben zu lassen. Das Gericht wird C als Miterbe über den zu erteilenden gemeinschaftlichen Erbschein zugunsten von B und C in Kenntnis setzen. Gleiches gilt für das Grundbuchamt, sobald B und C in Erbengemeinschaft als Miteigentümer im Grundbuch eingetragen worden sind.

B läuft nun sogar Gefahr, dass die von ihm genutzte Wohnung – wenn er mit C keine Einigung erzielt – zwangsversteigert wird. C könnte hier die Teilungsversteigerung aus § 180 ZVG betreiben und sein großes Antragsrecht auf Versteigerung des gesamten Objekts ausüben. Ersteigert ein Dritter, müsste B die Wohnung an diesen herausgeben.

Auch das anteilige Kontoguthaben der A steht zu 1/4 Anteil dem C zu. Lediglich im Hinblick auf den Voraus (§ 1932 BGB) – also im Hinblick auf die zum ehelichen Haushalt gehörenden Gegenstände, soweit sie nicht Zubehör eines Grundstücks sind, und die Hochzeitsgeschenke – wird B gegenüber C privilegiert und erlangt das alleinige Eigentum hieran.

Praxistipp

Die fatalen Konsequenzen für B wären vermieden worden, wenn A ein Testament zugunsten des B hinterlassen hätte. Es hätte ausgereicht, ein eigenhändiges Testament unter Einhaltung sämtlicher Formanforderungen zu errichten mit nur einer inhaltlichen Verfügung:

„Hiermit setze ich meinen Ehegatten B als Alleinerben ein.“

Fazit

Gesetzliche Erben sind die Verwandten des Erblassers nach bestimmten Ordnungen (§§ 1924 ff. BGB) sowie der überlebende Ehegatte (§ 1931 BGB). Sind keine anderen gesetzlichen Erben vorhanden, so erbt der Staat (§ 1936 BGB). Ein Verwandter ist nicht zur Erbfolge berufen, solange ein Verwandter der vorhergehenden Ordnung lebt (§ 1930 BGB). Hat der Erblasser ein gültiges Testament hinterlassen, hat der Inhalt dieser letztwilligen Verfügung Vorrang. Neben den Verwandten der ersten und zweiten Ordnung und neben Großeltern ist auch der überlebende Ehegatte des Erblassers als gesetzlicher Erbe berufen. Sind weder Verwandte der ersten oder zweiten Ordnung noch Großeltern vorhanden, so erhält der Ehegatte bzw. der Lebenspartner die ganze Erbschaft. Wenn Erblasser nicht bedenken, dass auch Verwandte der zweiten Ordnung (ihre Eltern, Geschwister, Neffen/Nichten) nach dem Gesetz noch neben dem überlebenden Ehegatten erben, kommt es zu einer bösen Überraschung für den Längerlebenden, der sich ungewollt in einer Erbengemeinschaft wiederfindet mit fatalen Folgen. Diese lassen sich vermeiden, wenn die Eheleute zu Lebzeiten ein Testament errichten und sich darin gegenseitig zu alleinigen Erben einsetzen.

Autoren

Dr. Thomas Leuer und Dr. W.-P. Haarmann sind Fachanwälte für Erbrecht. Sie sind auf das streitige Erbrecht spezialisiert.

Dr. Peus · Dr. Leuer · Dr. Haarmann
Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB · Notar