Erbscheinsverfahren und die Erbenfeststellungsklage
Im aktuellen Fokus unserer Rubrik „Erbrecht – Ihr Fall“ steht die komplexe rechtliche Situation nach dem Tod eines Ehepaares, das ein Berliner Testament errichtet hat. In unserem Artikel beleuchten wir die entscheidenden Unterschiede zwischen dem Erbscheinsverfahren und der Erbenfeststellungsklage, und zeigen auf, wann welche Vorgehensweise die geeignete Wahl sein könnte.
Anhand des praktischen Falls von S, dessen Erbenstellung durch ein späteres privatschriftliches Testament seiner Mutter und seiner Schwester T angefochten wird, erörtern wir die Herausforderungen und strategischen Entscheidungen, die Erbprätendenten in ähnlichen Situationen treffen müssen.
Egal, ob Sie Ihre Erbenstellung klären oder ein Testament anfechten möchten – wir geben Ihnen wertvolle Einblicke, wie Sie Ihre Ansprüche durchsetzen können. Lesen Sie den vollständigen Artikel, um herauszufinden, welche rechtlichen Möglichkeiten Ihnen zur Verfügung stehen und wie Sie am besten vorgehen können.
Einleitung
Die Vertretung und Durchsetzung der Rechtsposition von Erbprätendenten stellt einen Schwerpunkt der anwaltlichen Tätigkeit im streitigen Erbrecht dar. Verfahrensrechtlich bestehen zwei Möglichkeiten, die Erbenstellung gerichtlich feststellen zu lassen. Die Wirksamkeit eines Testaments und die individuelle Erbenstellung können entweder durch das Nachlassgericht im Rahmen des Erbscheinsverfahrens oder durch das Zivilgericht im Wege der Erbenfeststellungsklage überprüft werden. Die beiden Verfahren unterscheiden sich grundlegend voneinander. Welches Verfahren vorzugswürdig ist, hängt von den konkreten Umständen des erbrechtlichen Mandats und der diesbezüglichen Strategie ab.
Der Praxisfall
Die Eheleute M und V haben im Jahr 1980 ein Berliner Testament errichtet, in dem sie sich gegenseitig als Alleinerben des Erstversterbenden eingesetzt haben und ihre beiden Abkömmlinge T und S als Schlusserben zu je 1/2 Anteil. Das Berliner Testament enthält eine Öffnungsklausel, wonach der überlebende Ehegatte die Schlusserbfolge nach freiem Ermessen abändern kann. V stirbt im Jahr 2005. S zieht aus beruflichen Gründen ins Ausland und hat in den Folgejahren nur noch sporadisch Kontakt zu M. In den letzten Jahren vor ihrem Tod ist M dement. Die Tochter T verfügt über eine Generalvollmacht. M stirbt im Jahr 2020. Nach ihrem Tod eröffnet das Nachlassgericht ein privatschriftliches Testament aus dem Jahr 2017, in dem die M ihre Tochter T als alleinige Schlusserbin eingesetzt hat. S geht davon aus, dass M zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments am 02.05.2017 nicht mehr testierfähig war. Er fragt, ob er das Testament aus dem Jahr 2017 „anfechten“ kann.
Nachweis der Erbenstellung
Es existieren grundsätzlich zwei Möglichkeiten, die Erbenstellung gegenüber Dritten (z. B. Grundbuchamt, Bank, Lebensversicherer etc.) nachzuweisen:
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Vorlage eines notariellen Testaments nebst Eröffnungsprotokoll (u. a. § 35 Abs. 1 Satz 2 1. Halbsatz GBO)
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Vorlage eines Erbscheins (u. a. § 2366 BGB, § 35 Abs. 1 Satz 1 GBO)
In Ausnahmefällen kann die Erbfolge auch durch Vorlage eines privatschriftlichen Testaments nebst Eröffnungsprotokoll im Sinne des § 348 Abs. 1 Satz 2 FamFG geführt werden, wenn sich die Erbfolge eindeutig aus dem privatschriftlichen Testament ergibt. Auf diese Weise soll es den Erben erspart werden, in einfach gelagerten Fällen einen Erbschein erwirken zu müssen und dadurch nicht unerhebliche Kosten auszulösen. In seiner Grundsatzentscheidung vom 05.04.2016 hat der Bundesgerichtshof eine Bank, die die Vorlage eines Erbscheins trotz eindeutiger, in einem privatschriftlichen Testament niedergelegten Erbfolge verlangt hatte, zum Schadenersatz in Höhe der Kosten des Erbscheinsverfahrens verurteilt (BGH, NJW 2016, 2409). Danach gilt folgender Leitsatz:
„Der Erbe kann sein Erbrecht auch durch Vorlage eines eröffneten eigenhändigen Testaments belegen, wenn dieses die Erbfolge mit der im Rechtsverkehr erforderlichen Eindeutigkeit nachweist.“
Nicht selten ist es in der Praxis auch bei Vorliegen eines notariellen Testaments erforderlich, die Erbfolge gerichtlich – entweder im Wege des Erbscheinsverfahrens oder im Wege der Erbenfeststellungsklage – fixieren zu lassen. Dies ist der Fall, wenn das notarielle Testament auch im Wege der Auslegung keine eindeutige Aussage dazu trifft, welche Person zu welcher Quote als Erbe eingesetzt werden sollte sowie in folgenden Fallgruppen (vgl. hierzu BeckOK, 2022, § 2232 BGB Rn. 22):
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die Erben sind namentlich nicht bezeichnet worden,
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bei mehreren Erben wurden die Erbquoten nicht angegeben,
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für den Fall des Vorversterbens eines Erben wurde kein Ersatzerbe namentlich eingesetzt,
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die Erbschaft wurde ausgeschlagen,
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die Erbeinsetzung ist bedingt erfolgt, etwa durch Wiederheirat oder durch die Geltendmachung des Pflichtteils,
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die Wirkung auf frühere Verfügungen ist nicht unmissverständlich angegeben oder erkennbar,
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die Gültigkeit einer Anordnung von der erbrechtlichen Bindungswirkung früherer Verfügungen abhängt und diese sich nicht ausdrücklich aus der Urkunde ergibt,
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die Verfügung später durch ein eigenhändiges Testament ganz oder teilweise widerrufen worden ist.
Der Erbschein
Der Erbschein ist ein von einem Nachlassgericht erstelltes Zeugnis über das Erbrecht des Erben (§ 2353 BGB) und die Frage, ob sein Recht durch Testamentsvollstreckung bzw. Nacherbfolge beschränkt ist. Das Erbscheinsverfahren ist ein Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit (§ 342 Abs. 1 Nr. 6 FamFG, § 23a Abs. 2 Nr. 2 GVG). Es gilt der Amtsermittlungsgrundsatz (§ 26 FamFG, § 2358 BGB). Zuständig ist das Nachlassgericht, in dessen Bezirk der Erblasser seinen letzten Wohnsitz bzw. letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte (§§ 343, 2 Abs. 1 FamFG). Gegen den Beschluss des Nachlassgerichts (§ 352 FamFG) ist die Beschwerde zum Oberlandesgericht (§ 58 FamFG), bei zugelassener Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof (§ 70 FamFG) zulässig.
Der Erbschein wird bestandskräftig, er erwächst – anders als ein zivilgerichtliches Urteil – als bloßes Zeugnis über das Erbrecht nicht in Rechtskraft, sondern kann theoretisch auch noch nach Jahrzehnten als unrichtig eingezogen werden (§ 2361 BGB). Der Erbschein bescheinigt die wahre Erblage nur dann, wenn er inhaltlich korrekt ist, er kann hingegen die wahre Erblage nicht verändern, wenn er unrichtig ist (BayObLG, Beck RS 2009, 27973, FamRZ 1986, 1151 ff.).
Die Erbenfeststellungsklage
Alternativ kann im zivilgerichtlichen Wege die Erbenstellung geklärt werden und zwar durch eine Klage auf Feststellung des Bestehens der Erbenstellung als Rechtsverhältnis im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO. Das Feststellungsinteresse ergibt sich daraus, dass zwischen den Parteien Streit über das Erbrecht besteht, also eine der Parteien die von dem Kläger behauptete Erbfolge bestreitet. Im Gegensatz zu dem Erbscheinsverfahren, in dem das Gericht von Amts wegen die Wirksamkeit eines Testaments bzw. die Erbenstellung prüft (§ 26 FamFG), gilt im Zivilprozess der Beibringungsgrundsatz, das heißt das Gericht muss bei der Entscheidungsfindung nur die von den Parteien in den Prozess eingebrachten Tatsachen berücksichtigen.
Die Zuständigkeit des Zivilgerichts richtet sich nach den §§ 12, 13 ZPO und § 27 ZPO, sodass die Klage vor dem Amts- oder Landgericht, in dessen Bezirk der Erblasser seinen letzten Wohnsitz hatte, erhoben werden kann. Die Feststellungsklage erfordert den Prozesskostenvorschuss nach § 12 GKG. Der Rechtsstreit ist dem Nachlassgericht mitzuteilen (§ 352 Abs. 1 Nr. 6 in Verbindung mit Abs. 2 Nr. 3 FamFG). Folge dieser Mitteilung kann die Aussetzung des Nachlassverfahrens sein. Das im Hinblick auf die positive Feststellungsklage ergangene Urteil erwächst in Rechtskraft und würde damit gegenüber dem Erbscheinsverfahren vorgreiflich sein. Ein rechtskräftiges Feststellungsurteil ist im Erbscheinsverfahren, an dem als Erbprätendenten nur die Parteien des Rechtsstreits beteiligt sind, zu beachten (vgl. OLG München, NJW 2016, 2513).
Gegen das erstinstanzliche Urteil ist die Berufung sowie gegebenenfalls zu einem späteren Zeitpunkt weitergehend die Revision zulässig. Eine Erbenfeststellungsklage kann auch noch erhoben werden, wenn ein für den Kläger nachteiliger Erbschein von dem Nachlassgericht erlassen worden ist. Sollte das Zivilgericht feststellen, dass eine von dem Inhalt eines zuvor erteilten Erbscheins abweichende Erbfolge vorliegt, geht das zivilgerichtliche Urteil der nachlassgerichtlichen Entscheidung vor. Wird das zivilgerichtliche Urteil rechtskräftig, ist erwiesen, dass der zuvor erteilte Erbschein falsch ist. Der Erbschein ist einzuziehen (§ 2361 BGB).
Praxistipp
Ob die Erbfolge im Wege des Erbscheinsverfahrens oder im Wege der zivilgerichtlichen Feststellungsklage geklärt werden sollte, hängt von den Umständen des jeweiligen Falls und auch von taktischen Erwägungen ab. Es empfiehlt sich, einen Fachanwalt für Erbrecht zu mandatieren, bevor einer der beiden Wege eingeschlagen wird. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass es nicht zwingend erforderlich ist, einen notariellen Erbscheinsantrag zu stellen. Gerade in komplexen bzw. streitanfälligen Angelegenheiten kann es sich vielmehr anbieten, sich auch in dem Erbscheinsverfahren bereits bei der Antragsstellung – also von Anfang an – anwaltlich vertreten zu lassen.
Lösung Praxisfall
Eine formale Anfechtung des Testaments vom 02.05.2017 kann nach § 2078 BGB nur wegen Irrtums oder Drohung erfolgen. Das Mandantenbegehren des S ist stattdessen darauf gerichtet, das aus seiner Sicht mangels Testierfähigkeit nichtige Testaments aufheben zu lassen. S hat folgende erbrechtliche Möglichkeiten:
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Option 1: S kann einen Antrag auf Erteilung eines Erbscheins stellen, wonach S und T – auf Basis des Berliner Testaments aus dem Jahr 1980 – Miterben zu je 1/2 Anteil geworden sind.
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Option 2: S kann Klage auf Feststellung erheben, dass – aufgrund einer Nichtigkeit des Testaments aus dem Jahr 2017 – S und T Miterben zu je 1/2 Anteil geworden sind. Indiz für eine Widerrufshandlung des Erblassers ist, wird K2 das Gericht mit anderen Beweismitteln davon überzeugen müssen, dass die Erblasserin das Testament durch seine Vernichtung widerrufen hat.
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Option 3: S kann abwarten, ob T möglicherweise von sich aus einen Erbscheinsantrag stellt und das Nachlassgericht im Zuge dieses Verfahrens die Wirksamkeit des Testaments aus dem Jahr 2017 prüft.
Option 1 (eigener Erbscheinsantrag) bietet den Vorteil, dass das Nachlassgericht der Frage einer möglichen Testierunfähigkeit der Erblasserin zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments im Jahr 2017 von Amts wegen nachzugehen hat (§ 26 FamFG), sobald S diesbezügliche Tatsachen vorbringt. Das Nachlassgericht kann dabei darauf hinwirken, dass etwa Behandlungsunterlagen der Erblasserin vorgelegt werden, die im zeitlichen Zusammenhang zu der Testamentserrichtung (2017) stehen. Zur Vermeidung doppelter Kosten und im Sinne einer einheitlichen Argumentationslinie bietet es sich für S an, sich unmittelbar an einen Fachanwalt für Erbrecht zu wenden und über diesen einen Erbscheinsantrag einzureichen. Ein notarieller Erbscheinsantrag ist in diesem Fall entbehrlich.
Option 2 (Erbenfeststellungsklage) ist zu diesem früheren Zeitpunkt im Hinblick auf die dadurch ausgelösten Kosten voraussichtlich nicht zu empfehlen. Im Zivilprozess herrscht der Beibringungsgrundsatz. S muss dem Gericht Beweismittel vorlegen, anhand derer sich feststellen lässt, dass M am 02.05.2017 testierunfähig war. Dadurch, dass das Testament aus dem Jahr 1980 von M am 02.05.2017 widerrufen wurde und die Existenz dieses Testaments aus dem Eröffnungsprotokoll ersichtlich ist, kann sich S gegenüber Ärzten, Krankenhäusern, Krankenversicherern etc. nicht als Miterbe legitimieren. Er wird deshalb auch keine Behandlungsunterlagen erhalten, was die Führung des vorgenannten Beweises nicht unmöglich macht, aber erheblich erschwert.
Option 3 (abwarten) ist die schlechteste Option. Für S besteht das Risiko, dass seine Schwester T allein unter Vorlage der Generalvollmacht und des privatschriftlichen Testaments und des Eröffnungsprotokolls den Nachlass in Besitz nimmt und darüber verfügt. S sollte deshalb nicht darauf warten, dass T möglicherweise von sich aus ein Erbscheinsverfahren einleitet. Bereits das privatschriftliche Testament wird als Nachweis der Erbfolge ausreichen, wenn darin die alleinige Erbfolge unmissverständlich geregelt ist. Das Berliner Testament enthielt insoweit eine eindeutige Öffnungsklausel, die es M ermöglichte, die Schlusserbfolge zu verändern. Stellt T tatsächlich einen eigenen Erbscheinsantrag, sollte S beantragen lassen, als Beteiligter hinzugezogen zu werden (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 FamFG) und vollumfänglich zu dem Aspekt der Testierunfähigkeit vortragen lassen.
Fazit
Der Erbschein ist ein von einem Nachlassgericht ausgestelltes Zeugnis über das Erbrecht. Dieses Zeugnis ist kein Urteil oder Beschluss mit Rechtskraftwirkung. Der Erbschein selbst erfährt keine formelle oder materielle Rechtskraft, weil er jederzeit als unrichtig eingezogen werden kann. Eine Alternative, um die Erbenstellung zu klären, ist die Erbenfeststellungsklage. Während im Erbscheinsverfahren der Amtsermittlungsgrundsatz gilt, herrscht im Zivilprozess der Beibringungsgrundsatz. Beide Verfahren unterscheiden sich grundsätzlich, wobei das Erbscheinsverfahren in der Praxis die Regel ist. Die Feststellungsklage ist die Ausnahme und kann unter anderem sinnvoll sein, wenn ein Erbscheinserteilungsverfahren durch alle Instanzen erfolglos war und nun die Frage der Erbenstellung vor einem anderen Richter nochmals aufgerollt werden soll.
Dr. Thomas Leuer und Dr. W.-P. Haarmann sind Fachanwälte für Erbrecht. Sie sind auf das streitige Erbrecht spezialisiert.
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