Das verschwundene Testament

Im Erbrecht ist der Fall des verschwundenen Testaments eine häufige und herausfordernde Situation. In unserem aktuellen Artikel beleuchten wir einen spannenden Praxisfall, in dem eine verwitwete Erblasserin mehrere Testamente hinterlässt und das Original eines entscheidenden Dokuments nicht auffindbar ist. Der Streit zwischen den Erben ist vorprogrammiert, wenn Unklarheiten über den letzten Willen der Erblasserin bestehen.

Wir erläutern die rechtlichen Grundlagen und die Bedeutung der unterschiedlichen Testamentsformen sowie die Konsequenzen einer fehlenden Originalurkunde für das Erbverfahren. Zudem zeigen wir auf, wie Angehörige Konflikte vermeiden können, indem sie geeignete Testamentsvorkehrungen treffen.

Erfahren Sie, wie Sie Ihre Ansprüche im Erbfall absichern können und welche Maßnahmen hilfreich sind, um Streitigkeiten unter Erben zu verhindern. Lesen Sie unseren vollständigen Artikel und erhalten Sie wertvolle Einblicke in die Komplexität des Erbrechts.

Einleitung

Nach dem Erbfall folgt für die Angehörigen nicht nur eine Zeit der Trauer, sondern nicht selten auch der Ungewissheit, ob und mit welchem Inhalt der Erblasser eine letztwillige Verfügung hinterlassen hat. Bei der Suche nach einem Testament in den privaten Unterlagen des Erblassers wird oft nur eine Kopie einer privatschriftlichen letztwilligen Verfügung gefunden. Weil die Existenz des Originals ungewiss bleibt, ist Streit vorprogrammiert. Der Erblasser kann noch zu seinen Lebzeiten einen aufwendigen Rechtsstreit durch einfache Maßnahmen vermeiden und zugleich sicherstellen, dass sein letzter Wille verwirklicht wird.

Praxisfall

Die verwitwete E, die durch frühere letztwillige Verfügungen nicht gehindert ist, frei zu testieren, errichtet im Jahr 2005 ein notarielles Testament, in dem sie ihre Töchter K1 und K2 zu jeweils gleichen Teilen zu ihren Erben einsetzt. E zerstreitet sich danach mit K2. Im Jahr 2016 verfasst E ein formwirksames privatschriftliches Testament, in dem sie K1 zu ihrer alleinigen Erbin einsetzt und ihre Tochter K2 enterbt.

Als E im Jahr 2021 verstirbt, eröffnet das zuständige Nachlassgericht das notarielle Testament aus dem Jahr 2005 und eine Fotokopie des privatschriftlichen Testaments aus dem Jahr 2016. Das Schicksal des Originals bleibt ungeklärt.

K1 beantragt die Erteilung eines Erbscheins als Alleinerbin. K2 widerspricht mit der Begründung, das Testament sei im Original nicht mehr vorhanden, die Vorlage einer Kopie reiche für die Begründung der Alleinerbenstellung ihrer Schwester nicht aus. K2 behauptet, sich mit ihrer Mutter wieder versöhnt zu haben. Deshalb habe die Mutter das Originaltestament vernichtet.

Formzwang bei Testamenten

Die Errichtung von Testamenten ist nur in den gesetzlich vorgesehenen Formen möglich. Der Gesetzgeber stellt zwei ordentliche Testamentsformen zur Verfügung (§ 2231 BGB):

  • Das öffentliche Testament ist in den §§ 2231 Nr. 1, 2232 BGB geregelt. Solche letztwilligen Verfügungen werden errichtet von einem Notar oder einer Notarin nach der mündlichen Erklärung des Testierenden in Form einer notariellen Niederschrift oder in den Ausnahmefällen des § 2232 S. 1 2. Alt. BGB durch Übergabe einer Schrift mit der Erklärung, dass die Schrift seinen letzten Willen enthalte. Notarielle Testamente hat der Notar zwingend in besondere amtliche Verwahrung zu bringen, § 34 Abs. 1 S. 4 BeurkG, § 2249 Abs. 1 BGB S. 4 i. V. m. § 34 Abs. 1 S. 4 BeurkG.
  • Alternativ kann der Testierende ein Testament durch eine eigenhändig geschriebene und unterschriebene Erklärung errichten, §§ 2231 Nr. 2, 2247 BGB. Der Testierende soll in der privatschriftlichen Erklärung angeben, zu welcher Zeit und an welchem Ort er diese niedergeschrieben hat (§ 2247 Abs. 2 BGB).


Mit diesen Formvorschriften verfolgt das Gesetz verschiedene Zwecke: Die einzuhaltenden Förmlichkeiten sollen den Testierenden einerseits veranlassen, sich selbst darüber klar zu werden, welchen Inhalt seine Verfügung von Todes wegen haben soll, und seinen Willen möglichst deutlich zum Ausdruck zu bringen. Zum anderen soll der Formzwang auch dazu dienen, Vorüberlegungen und Entwürfe exakt abzugrenzen von der maßgeblichen letztwilligen Verfügung. Die Eigenhändigkeit soll nach der Wertung des Gesetzes zudem eine erhöhte Sicherheit vor Verfälschungen des Erblasserwillens bieten.

Widerruf eines formwirksamen Testaments

Der Testierende kann ein Testament sowie eine einzelne in einem Testament enthaltene Verfügung jederzeit widerrufen (§ 2253 BGB). Es bestehen vier Möglichkeiten, um ein Testament zu widerrufen:

Die Errichtung eines reinen Widerrufstestaments (§ 2254 BGB)

Ein reines Widerrufstestament braucht nur den Widerrufswillen des Erblassers in Bezug auf ein früheres Testament zum Ausdruck zu bringen. Das Widerrufstestament kann, muss jedoch keine sonstigen Verfügungen enthalten. Für das Widerrufstestament gilt ebenfalls der Formzwang aus § 2231 BGB, der Testierende muss das Widerrufstestament also zur notariellen Niederschrift oder eigenhändig errichten.

Die Vernichtung der Testamentsurkunde in Widerrufsabsicht (§ 2255 BGB)

Ein Testament kann auch dadurch widerrufen werden, dass der Erblasser in der Absicht, es aufzuheben, die Testamentsurkunde vernichtet oder an ihr Veränderungen vornimmt, durch die der Wille, eine schriftliche Willenserklärung aufzuheben, ausgedrückt zu werden pflegt. Hat der Erblasser die Testamentsurkunde vernichtet oder in der bezeichneten Weise verändert, so wird vermutet, dass er die Aufhebung des Testaments beabsichtigt hat. Der Anwendungsbereich des § 2255 BGB erstreckt sich in der Praxis in aller Regel auf privatschriftliche Testamente.

Rücknahme eines öffentlichen Testaments aus der besonderen amtlichen Verwahrung (§ 2256 BGB)

Ein vor einem Notar errichtetes Testament gilt als widerrufen, wenn die in amtliche Verwahrung genommene Urkunde dem Erblasser zurückgegeben wird. Der Erblasser kann die Rückgabe jederzeit verlangen. Das Testament darf nur an den Erblasser persönlich zurückgegeben werden. Diese Form des Widerrufs gilt auch für die in der Praxis kaum noch anzutreffende Form des Nottestaments nach § 2249 BGB, welches zur Niederschrift des Bürgermeisters errichtet worden ist.

Errichtung eines späteren Testaments mit widersprechendem Inhalt (§ 2258 BGB)

Durch die Errichtung eines späteren Testaments wird ein früheres Testament insoweit aufgehoben, als das spätere Testament mit dem früheren in Widerspruch steht. Auch für das spätere Testament gilt der Formzwang nach § 2231 BGB.

Hinweis

Für gemeinschaftliche Testamente gelten Besonderheiten. Ein gemeinschaftliches Testament von Ehegatten kann eigenhändig oder zur notariellen Niederschrift errichtet werden, § 2267 BGB.

Anders als die Errichtung bedarf der einseitige Widerruf wechselbezüglicher Verfügungen zwingend der notariellen Form, § 2271 i. V. m. § 2296 Abs. 2 S. 2 BGB. Beim Widerruf handelt es sich um eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die dem anderen Ehepartner in Form einer Ausfertigung der Urkunde zugehen muss. Die Zustellung einer beglaubigten Abschrift genügt nicht.

Gemeinsam können die Eheleute ihre wechselbezüglichen Verfügungen ganz oder teilweise widerrufen (vgl. § 2271 Abs. 1 S. 2 BGB), und zwar durch gemeinschaftliches widerrufendes (§ 2254 BGB) oder widersprechendes (§ 2258 BGB) Testament oder Ehegattenerbvertrag, durch gemeinschaftliche Rücknahme des gemeinschaftlichen öffentlichen Testaments aus der besonderen amtlichen Verwahrung (§ 2256 BGB) oder durch einvernehmliche Vornahme einer schlüssigen Widerrufshandlung nach § 2255 BGB.

Kein Originaltestament nach dem Erbfall

Ist das Original des Testaments nach dem Eintritt des Erbfalls nicht auffindbar, liegt ein Beweisproblem vor und kein Problem der materiellen Wirksamkeit. Kann das Originaltestament nach dem Erbfall dem Nachlassgericht nicht vorgelegt werden, erfordert die Amtsermittlungspflicht im Erbscheinsverfahren (§ 26 FamFG) angesichts des Fälschungsrisikos eine besonders gründliche Prüfung. Das Gericht hat aufzuklären, ob die Kopie mit dem nicht mehr vorhandenen Original übereinstimmt und ob das Originaltestament von dem Testierenden wirksam widerrufen worden ist. Das Kammergericht hat hierzu in seinem Beschluss vom 03.08.2018 – 6 W 52/18 – (=FGPrax 2018, 274 f.) grundlegende Feststellungen getroffen.

  • Grundsätzlich hat derjenige, der ein testamentarisches Erbrecht geltend macht, dies durch Vorlage der Originaltestamentsurkunde nachzuweisen. Es entspricht jedoch allgemeiner Ansicht, dass die Wirksamkeit einer letztwilligen Verfügung nicht dadurch berührt wird, dass die Testamentsurkunde ohne Willen und Zutun des Erblassers vernichtet worden, verloren gegangen oder sonst nicht auffindbar ist (BayObLG NJW-RR 1992, 1358 f. m. w. N.). Wenn in einem solchen Fall das Originaltestament nicht mehr vorgelegt werden kann und sich auch nicht bereits beim Nachlassgericht befindet, kann gemäß § 2356 Abs. 1 S. 2 BGB die Errichtung und der Inhalt eines Testaments auch mit Hilfe anderer Beweismittel dargetan werden (OLG Naumburg, ErbR 2014, 193 f. m. w. N.), wobei allerdings an den Nachweis strenge Anforderungen zu stellen sind (OLG München, ZErb 2011, 285 f.).
  • Beweispflichtig ist, wer aus dem Testament Rechte herleiten will. Er hat nicht nur für den Nachweis einzustehen, dass der Erblasser ein formgültiges, rechtswirksames Testament mit dem von ihm behaupteten Inhalt errichtet hat, sondern ist auch dafür beweispflichtig, dass es sich nicht um einen bloßen Entwurf gehandelt hat (OLG München ZErb 2011, 285 f.). Grundlage dieser hohen Beweisanforderungen ist die für die Errichtung einer letztwilligen Verfügung gemäß §§ 2231 f. BGB geltende Formstrenge.

Das Gericht muss über Inhalt und Form des Testaments in vergleichbarer Weise Gewissheit erlangen wie durch eine Vorlage der Urkunde im Original. Liegt zumindest eine Kopie eines Testaments vor, ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für die Begründung der Erbenstellung ausreichend ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, der vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie gänzlich ausschließen zu müssen.

Hinweis

Privatschriftliche Testamente sollten nach § 2248 BGB in besondere amtliche Verwahrung gegeben werden, um sie vor Verlust und Verfälschung zu schützen. Das Gericht übermittelt die Urkunde unverzüglich an die das Zentrale Testamentsregister führende Registerbehörde. Durch eine Abfrage des Nachlassgerichts im Erbfall wird sichergestellt, dass das Testament eröffnet wird und den Beteiligten zur Kenntnis gelangt.

Lösung des Praxisfalls

E hat zwei Testamente hinterlassen. Nach dem notariellen Testament aus dem Jahr 2005 erben ihre Töchter K1 und K2 zu gleichen Teilen. Nach dem Testament aus dem Jahr 2016 ist K1 Alleinerbin. K2 stünde in diesem Fall lediglich ein Pflichtteilsanspruch in Höhe der Hälfte des gesetzlichen Erbteils zu.

Gemäß § 2254 BGB kann der Widerruf eines Testaments durch ein formwirksames weiteres Testament erfolgen. Entscheidend ist die Frage, ob das notarielle Testament aus 2005 im Jahr 2016 wirksam widerrufen wurde. Unstreitig ist, dass das spätere Testament wirksam errichtet wurde. Ungewiss ist jedoch das Schicksal des späteren Originaltestaments.

Hätte E das privatschriftliche Testament aus 2016 tatsächlich wegen einer Versöhnung mit K2 vernichtet, wäre darin ein Widerruf nach § 2255 BGB zu sehen, so dass das frühere Testament aus dem Jahr 2005 gelten würde. In einem Erbscheinsverfahren oder in einem ordentlichen Gerichtsverfahren wird das Gericht deshalb versuchen, die Frage aufzuklären, ob das Original des Testaments von der E vernichtet wurde, es nur verloren ging oder einfach unauffindbar ist. Das Gericht wird eine Beweisaufnahme durchführen und insbesondere die von beiden Seiten benannten Zeugen vernehmen. Weil das Fehlen der Urkunde für sich genommen kein schwerwiegendes Indiz für eine Widerrufshandlung des Erblassers ist, wird K2 das Gericht mit anderen Beweismitteln davon überzeugen müssen, dass die Erblasserin das Testament durch seine Vernichtung widerrufen hat.

Hinweis

Wer ein Testament, das nicht in besondere amtliche Verwahrung gebracht ist, in Besitz hat, ist verpflichtet, dieses unverzüglich, nachdem er von dem Tod des Erblassers Kenntnis erlangt hat, an das Nachlassgericht abzuliefern (§ 2259 BGB). Diese Ablieferungspflicht wird nicht selten verletzt, wenn Angehörige privatschriftliche Testamente bei dem Nachlassgericht nicht abliefern, die sie benachteiligen. Ein solches Vorgehen kann nicht nur ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren wegen des Vorwurfs einer Urkundenunterdrückung (§ 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB) zur Folge haben, sondern sogar eine Erbunwürdigkeit des Täters (§ 2339 Abs. 1 Nr. 4 BGB) – und damit insgesamt fatale Folgen.

Fazit

Ist das Original eines Testaments nach dem Erbfall nicht mehr auffindbar, entsteht regelmäßig Streit. Dabei wird die Wirksamkeit eines Testaments nicht berührt, wenn dieses ohne den Willen des Erblassers vernichtet worden, verloren gegangen oder sonst unauffindbar ist. Wird der Nachweis des Erbrechts nur auf eine Kopie des Testaments gestützt, ist eine förmliche Beweisaufnahme unerlässlich. Der Erblasser kann Streit vermeiden, wenn er ein notarielles Testament errichtet oder ein privatschriftliches Testament in amtliche Verwahrung gibt. Will der Erblasser sein Testament widerrufen, sollte dies durch ein schriftliches Widerrufstestament erfolgen und nicht nur durch die Vernichtung der Urkunde.

Autoren

Dr. Thomas Leuer und Dr. W.-P. Haarmann sind Fachanwälte für Erbrecht. Sie sind auf das streitige Erbrecht spezialisiert.

Dr. Peus · Dr. Leuer · Dr. Haarmann
Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB · Notar