Das abgeräumte Bankkonto

In unserem aktuellen Artikel beleuchten wir einen typischen und brisanten Fall aus der Erbrechtspraxis: Die Konfrontation zwischen Geschwistern, die nach dem Tod ihres Vaters über dessen Vermögensverfügungen in Gestalt von Barabhebungen und Überweisungen streiten. Wenn Erben nach einem Erbfall feststellen, dass ein Miterbe ein Bankkonto mit voller Zugriffsmacht behandelt hat, stehen sie oft vor der Herausforderung, eventuelle Schenkungen oder Missbräuche nachzuweisen. Dieser Artikel bietet Ihnen einen tiefen Einblick in die rechtlichen Grundlagen und beweisrechtlichen Fallstricke, die in diesem Zusammenhang relevant sind. Wir erläutern, wie Vollmachten nach dem Tod des Erblassers wirken und welche Ansprüche sich für die Erben ergeben können, um Ihre Position abzusichern.

Lesen Sie weiter, um die entscheidenden Schritte kennenzulernen, die Sie in einem ähnlichen Fall unternehmen sollten, um Ihre Erbansprüche zu wahren.

Einleitung

Nicht selten stellen Erben bei der Abwicklung eines Erbfalls fest, dass ein Miterbe oder ein Dritter aufgrund einer von dem Erblasser erteilten Vollmacht bereits über dessen Kontoguthaben verfügt hat. Konfrontieren die Erben den Bevollmächtigten mit diesem Sachverhalt, wird ihnen häufig entgegengehalten, es habe sich um eine Schenkung gehandelt mit der Folge, dass der betreffende Vermögenswert nicht mehr Bestandteil des Nachlasses sei und deshalb nicht mehr zurückgefordert werden könnte. Ein Klassiker bei Erbstreitigkeiten, der in der anwaltlichen und gerichtlichen Praxis künftig weiter an Bedeutung gewinnen wird, bedenkt man, dass die Anzahl von Vorsorgevoll-machten seit Jahren kontinuierlich steigt auf ohnehin hohem Niveau. Laut Jahresbericht der Bundesnotarkammer – Zentrales Vorsorgeregister – waren dort insgesamt 4.972.238 notarielle Vorsorgevollmachten (Stand: 31.12.2020) registriert. Allein im Jahr 2020 wurden insgesamt 390.437 Vollmachten neu registriert. Hinzu kommt eine hohe Anzahl der gängigen Bank- oder Kontovollmachten und privatschriftlicher Vollmachten.

 

Praxisfall

Der verwitwete Erblasser E hat eine Tochter T und einen Sohn S. Nach dem Tod seiner Ehefrau F im Jahr 2016 zieht E zu seiner Tochter und erteilt ihr eine notarielle Vor-sorgevollmacht in sämtlichen vermögens-bezogenen Angelegenheiten. E wird von T bis zu seinem Tod im Jahr 2020 versorgt.

Weil E kein Testament hinterlässt, gilt die gesetzliche Erbfolge. T und S erben zu gleichen Teilen.

Bei der Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft stellt S fest, dass T noch einen Monat vor dem Tod des schwerkranken E von dessen Konto einen Betrag in Höhe von 30.000,- € auf ihr Konto überwiesen hat. S fällt weiter auf, dass von dem Konto des E seit dem Jahr 2016 monatlich ein Betrag in Höhe von 1.500,- € in bar abgehoben wurde. Der Kontostand beläuft sich zum Stichtag Todestag nur noch auf 5.000,- €. S ist entrüstet und stellt T zur Rede. T vertritt die Auffassung, wegen der Barabhebungen habe sie S gegenüber keine Rechenschaft abzulegen. Den Betrag in Höhe von 30.000,- € habe ihr der E aus Dankbarkeit geschenkt. S glaubt T nicht. Er verklagt sie auf Zahlung von 30.000,- € an die Erbengemeinschaft und auf Auskunft im Hinblick auf die monatlichen Barabhe-bungen. Er behauptet, seine Schwester habe das Vermögen des E veruntreut.

Der Vater habe von nichts gewusst. Die Schwester behauptet, der Rechtsgrund für die Überweisung sei die Schenkung. Zur Auskunft über die Barabhebungen sei sie nicht verpflichtet.

Grundsätze zur Vollmacht

Dem persönlichen Nutzen, den der Vollmachtgeber für die Zeit alters- und/oder krankheitsbedingter Einschränkungen mit der Einschaltung eines Bevollmächtigten bezweckt, und der Chance, durch die Bestellung einer über den Tod hinaus reichenden Vollmacht nahen Angehörigen die Abwicklung des eigenen Nachlasses zu erleichtern, stehen nicht nur ein lebzeitiger Kontrollverlust, sondern auch das einer jeden transmortalen Vollmacht immanente Missbrauchsrisiko gegenüber. Zu beachten ist, dass nicht jede Verfügung z. B. über Bankguthaben, die von einem Bevollmächtigten nach dem Tod des Vollmachtgebers vorgenommen wird, per se zu beanstanden ist. In solchen Fällen ist jedoch stets zu prüfen, ob die Verfügung von dem Umfang der Vollmacht, dem Willen des Erblassers oder einem konkreten Rechts-geschäft (z. B. einer Schenkung) gedeckt sind. Der Bundesgerichtshof hat in seiner Grundsatzentscheidung vom 25.10.1994 (NJW 1995, 250 f.) sogar betont, dass es ein berechtigtes Motiv eines Vollmachtgebers sein kann, seinem Bevollmächtigten im Todesfall zu ermöglichen, über Konten und Depots zu verfügen, um eine schon zu Lebzeiten vereinbarte Schenkung zu vollziehen.

Vorsorgevollmachten sind vorbehaltlich einer anderslautenden Anordnung des Vollmachtgebers grundsätzlich über dessen Tod hinaus wirksam und damit transmortal (55 168 Satz 1, 672 Satz 1, 675 BGB). Um Vermögensverfügungen zulasten des Nachlasses zumindest für die Zukunft zu verhindern, ist es erforderlich, dass der Erbe als Gesamtrechtsnachfolger des Erblassers (§ 1922 BGB) eine solche Vollmacht unverzüglich widerruft. Wird der Vollmachtgeber von mehreren Personen beerbt, kann nach herrschender Auffassung jeder der Miterben einzeln den Widerruf der Vollmacht – mit Wirkung nur für sich selbst – erklären.

Praxistipp

Als Erbe empfiehlt es sich, unverzüglich nach Kenntnis des Erbfalls zu prüfen, ob der Erblasser Dritten Vollmachten erteilt hat. Nach dem Gebot des sichersten Weges sollte jede zu Lebzeiten des Erblassers erteilte Vollmacht widerrufen werden. Der Widerruf muss gegenüber dem Bevollmächtigten erklärt werden, wobei die Zustellung nachweisbar (z. B. per Einwurf-Einschreiben, per Bote) erfolgen sollte. Der Bevollmächtigte mag unter Fristsetzung ebenfalls aufgefordert werden, dem Erben erteilte Vollmachtsurkunden auszuhändigen. Darüber hinaus sollte seitens des Erben vorsorglich auch gegenüber der Bank erklärt werden, dass sämtliche von dem Erblasser erteilten Vollmachten widerrufen werden. Nur auf diese Weise stellt der Erbe sicher, dass nach dem Tod des Erblassers keine unbefugten Abbuchungen von Nachlasskonten zugunsten Dritter erfolgen.

Der Missbrauch einer Vollmacht im Rechtsverhältnis des Vollmachtgebers zur Bank hat dabei in aller Regel einen konkreten Vermögensschaden des Vollmachtgebers, ersatzweise dessen Erben, zur Folge. Denn nach höchstrichterlicher Rechtsprechung besteht für Banken, zu denen ein Bevollmächtigter in geschäftlichen Kontakt tritt, keine Prüfungspflicht, ob und inwieweit der Bevollmächtigte im Innenverhältnis Beschränkungen des Vollmachtgebers unterliegt. Liegt kein Fall einer objektiven Evidenz des Vollmachtmissbrauchs vor, können sich Vollmachtgeber bzw. deren Erben deshalb nicht wegen des Vermögensschadens, der durch die Abbuchung eingetreten ist, an die Bank halten, sondern müssen versuchen, ihre Ansprüche im Rechtsverhältnis zu dem Schädiger zu realisieren. Der Schädiger wird sich dabei gegenüber den Erben eines Vollmachtgebers regelmäßig auf den Standpunkt stellen, es liege kein Fall eines Vollmachtmissbrauchs vor, sondern eine Schenkung des Vollmachtgebers oder eine Vergütung zur Abgeltung von Leistungen des Bevollmächtigten vor (z. B. der von ihm vorgenommenen Vermögensverwaltung). Je nach Umfang eines veruntreuten Vermögens und der kriminellen Energie des Schädigers sind in der Praxis Fälle zu beobachten, in denen der Schädiger nicht nur die Standardeinrede der Entreicherung (§ 818 Abs. 3 BGB) erhebt, sondern versucht, das erlangte Kapital dem Zugriff des Gläubigers widerrechtlich zu entziehen und sich in die Insolvenz zu „flüchten“. Dass solche Schädiger sich in erheblichem Umfang nicht nur zivilrechtlich haftbar, sondern auch strafbar machen und regelmäßig empfindliche Geld- und Freiheitsstrafen gegen sie verhängt werden, ist häufig nicht bekannt.

Im Streitfall entscheidend sind die Beweislast und die Beweiswürdigung

Ansprüche auf Herausgabe des abgehobenen Geldes bzw. Schadensersatz ergeben sich bei missbräuchlichen Auszahlungen aus § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB und § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 266 , 246 StGB, ggf. auch aus § 667 BGB bzw. §§ 687 Abs. 2 Satz 1, 681 Satz 2 , 667 BGB und §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB.

Entscheidend für den Ausgang eines Rechtsstreits ist in vielen Fällen, welche Partei die Beweislast trägt. Die Beweislast (Feststellungslast) legt fest, welche Partei das Risiko der Nichterweislichkeit einer Beweisbehauptung (non liquet) trägt. Für die Frage, wer in einem Rechtsstreit welche Umstände zu beweisen hat, gelten in Schenkungsfällen besondere Regeln. Grundsätzlich gilt, dass der Bereicherungsgläubiger die Tatbestandsvoraussetzungen eines Anspruchs und damit regelmäßig auch das Fehlen des Rechtsgrundes als Anspruchsvoraussetzung zu beweisen hat. Gelingt ihm dies nicht, bleibt er beweisfällig und verliert den Prozess (non liquet). Der Bundesgerichtshof regelt die Beweislast in Schenkungsfällen abweichend von den v. g. allgemeinen Regeln. Es sei nicht Sache des Gläubigers, die behauptete Schenkungsvereinbarung zu widerlegen, aber auch der Beschenkte habe im Rahmen eines Rückforderungsprozesses nicht ein Schenkungsversprechen zu beweisen. Den Beschenkten treffe aber die Beweislast insoweit, als dass zu beweisen sei, dass die Leistung mit Wissen und Wollen des Leistenden bewirkt wurde und der Formmangel der Schenkung dadurch geheilt wurde (§ 518 Abs. 2 BGB).

Praxistipp

Macht der Bevollmächtigte geltend, durch Abhebung von Geldern unter Verwendung der ihm erteilten Vollmacht eine mündliche Schenkungsabrede mit dem Erblasser vollzogen zu haben (§ 518 Abs. 2 BGB), wird der Erbe als Gläubiger die Schenkung regelmäßig bestreiten. Der Bevollmächtigte wird sodann erhebliche Anstrengungen unternehmen müssen, um die Schenkung zu beweisen. Entscheidend ist hierbei nicht nur, dass die entscheidenden inhaltlichen Weichen schon in den Schriftsätzen an das Gericht nicht verpasst werden, sondern auch im Gerichtstermin selbst die Position des Erben mit rechtlich fundierter Argumentation und erfahrener Verhandlungsführung durchgesetzt wird, insbesondere wenn – was die Regel ist – Zeugen vernommen oder Parteien angehört werden. Um die Chance auf eine Verurteilung des Bevollmächtigten zur Herausgabe des erlangten Betrages zu wahren, sollte deshalb von vornherein ein Fachanwalt für Erbrecht mandatiert werden, der solche Fälle regelmäßig bearbeitet.

Auskunfts- und Rechenschaftsanspruch wegen Barabhebungen von monatlich 1.500,- €

Nach den o. g. Grundsätzen dürfte T verpflichtet sein, ihrem Bruder S Auskunft über die von ihr unter Verwendung der Vollmacht für E vorgenommenen Geschäfte zu erteilen (§ 666 2. Var. BGB). E hatte T eine umfassende Vorsorgevollmacht erteilt, so dass die Parteien nicht aus bloßer Gefälligkeit, sondern mit Rechtsbindungswillen gehandelt haben dürften. Falls die Barabhebungen nicht von E selbst, sondern von T unter Verwendung der ihr erteilten Vollmacht vorgenommen worden sind, schuldet T diesbezügliche Auskünfte, ggf. auch über die Verwendung und den Verbleib des auf diese Weise in den letzten vier Jahren vor dem Tod des E abgehobenen Gesamtbetrages von 72.000,- €. Wenn Grund zu der Annahme besteht, dass die Auskünfte der T nicht mit der erforderlichen Sorgfalt erteilt worden sind, kann S verlangen, dass T die Richtigkeit und Vollständigkeit ihrer Angaben an Eides statt versichert (§ 259 Abs. 2 BGB).

Fazit

Zahlungen des Erblassers noch zu Lebzeiten an Dritte, die ohne Weiteres durch Kontoauszüge zu belegen sind, führen nach seinem Tod häufig zu Streit. Vorsorgevollmachten, die immer beliebter werden, verschärfen das Problem. Sie haben den wesentlichen Vorteil, dass ein ungeliebter gesetzlicher Betreuer nicht erforderlich wird. Die Kehrseite ist die Gefahr eines zunehmenden Missbrauchs der Vollmachten durch nahe Angehörige. Entsteht nach dem Erbfall Streit über Barabhebungen oder Überweisungen von dem Konto des Erblassers, muss der Beschenkte insbesondere beweisen, dass die Leistung mit Wissen und Wollen des Erblassers bewirkt wurde. Verfügt er nicht über belastbare Beweismittel oder führt diese unzureichend in den Rechtsstreit ein, verliert er den Prozess. Auch Auskunftsund Rechnungslegungspflichten können den Bevollmächtigten im Verhältnis zum Erben treffen, je nachdem, ob der Bevollmächtigte – was aus objektiver Sicht zu beurteilen ist – aus reiner Gefälligkeit oder auf Grundlage eines Auftrags tätig wurde. Es ist im Interesse aller Beteiligten, schon zu Lebzeiten des Erblassers für klare Verhältnisse zu sorgen

Autoren

Dr. Thomas Leuer und Dr. W.-P. Haarmann sind Fachanwälte für Erbrecht. Sie sind auf das streitige Erbrecht spezialisiert.

Dr. Peus · Dr. Leuer · Dr. Haarmann
Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB · Notar