Ausgleichungspflichtige Zuwendungen unter Geschwistern

In unserem aktuellen Artikel widmen wir uns dem bedeutenden Thema der Ausgleichung von Pflegeleistungen im Erbfall nach § 2057a BGB. Hierbei beleuchten wir einen konkreten Fall, in dem die Tochter T über mehrere Jahre hinweg ihre pflegebedürftige Mutter betreute, während der Sohn S keinerlei Pflegeleistungen erbrachte. Nach dem Tod der Erblasserin entsteht Streit über den finanziellen Ausgleich für T’s Pflegeaufwand, welcher mathematisch in die Erbauseinandersetzung einfließt.

Wir erörtern, welche Voraussetzungen für einen Ausgleich nach dem Gesetz gelten, und bieten wertvolle Einblicke, wie Pflegeleistungen monetär bewertet werden. Oft birgt die Ermittlung solcher Ansprüche Konfliktpotenzial, insbesondere innerhalb von Geschwisterverhältnissen. Um Ihre Rechte und Ansprüche als potenzieller Erbe oder pflegender Angehöriger zu verstehen, empfehlen wir Ihnen, unseren vollständigen Artikel zu lesen.

Einleitung

Ausgleichungspflichtige Zuwendungen unter Abkömmlingen sind in der erbrechtlichen Beratungspraxis ein Dauerthema. Unterbleibt die Gestaltung solcher Zuwendungen vor dem Erbfall, führt dies regelmäßig zu Streit unter den Erben bei der Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft. Das Thema ist komplex. Dieser Beitrag beleuchtet die Grundlagen.

Der Praxisfall

M und F haben sich in einem gemeinschaftlichen Testament gegenseitig zu alleinigen Erben eingesetzt. Nach dem Tod des Längerlebenden sollen die Abkömmlinge A, B und C – so wie es das Gesetz vorsieht – zu gleichen Teilen erben.

Nach dem Tod von M im Mai 2021 – F ist im Jahr 2019 vorverstorben – erteilt das Nachlassgericht auf Antrag einen Erbschein, der die drei Geschwister A, B und C zu gleichen Teilen als Erben ausweist. In den Nachlass fällt ein Betrag in Höhe von 210.000 EUR. A schlägt seinen Geschwistern B und C vor, diesen Betrag den Erbquoten entsprechend aufzuteilen. B wendet ein, A sei von M im Mai 2012 ein Baugrundstück anlässlich seiner Hochzeit im Wert von 40.000 EUR geschenkt worden. Dieser Betrag müsse jetzt bei der Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft berücksichtigt werden. A hält dem entgegen, B sei nach seinem Studium während seiner Promotionszeit von M in 2012 und 2013 mit monatlich 1.500 EUR unterstützt worden. Zudem habe M dem C im April 2014 unentgeltlich seinen nur zwei Jahre alten Mercedes mit einem Wert von 40.000 EUR überlassen und habe seinerzeit A, B und C mitgeteilt, dass die Zuwendung bei der späteren Erbauseinandersetzung zu berücksichtigen sei.

Ausgleichung nur zwischen Abkömmlingen und bei gesetzlicher Erbfolge

Zur Ausgleichung berechtigt und verpflichtet sind grundsätzlich nur die Abkömmlinge des Erblassers, die als gesetzliche Erben zur Erbfolge gelangen (§ 2050 Abs. 1 BGB). Die Ausgleichungspflicht gilt bei gewillkürter Erbfolge aber auch dann, wenn der Erblasser die Abkömmlinge in seiner letztwilligen Verfügung auf ihren gesetzlichen Erbteil eingesetzt hat oder die Erbteile so bestimmt hat, dass sie zueinander in demselben Verhältnis stehen wie die gesetzlichen Erbteile (§ 2052 BGB). Das Ausgleichungssystem in § 2050 f. BGB beruht darauf, dass nach dem Willen eines Erblassers, der inhaltlich nicht von der gesetzlichen Erbfolge abweichend testiert, sein Nachlass wie von dem Gesetz vorgesehen gleichmäßig auf seine Abkömmlinge verteilt werden soll. Deshalb können lebzeitige Zuwendungen in den Grenzen des § 2050 f. BGB als Vorempfang auf das künftige Erbe verstanden werden.

Arten von ausgleichungspflichtigen Zuwendungen nach § 2050 BGB

Ausgleichungspflichtig sind oder können sein:

  • Ausstattungen (§ 2050 Abs. 1 BGB),
  • Zuschüsse und Ausbildungsaufwendungen (§ 2050 Abs. 2 BGB),
  • andere Zuwendungen (§ 2050 Abs. 3 BGB).


Ausstattung (§ 2050 Abs. 1 BGB) ist nach der Definition des § 1624 Abs. 1 BGB dasjenige, was einem Abkömmling mit Rücksicht auf seine Verheiratung, auf seine Begründung einer Lebenspartnerschaft oder auf die Erlangung einer selbstständigen Lebensstellung zur Begründung oder Erhaltung der Wirtschaft oder der Lebensstellung vom Erblasser zugewandt wird. Liegt eine Ausstattung vor, vermutet das Gesetz, dass ein Ausgleich unter den Abkömmlingen zu erfolgen hat. Dem Erblasser steht es allerdings frei, bei der Zuwendung durch formfreie Erklärung abweichende Bestimmungen zu treffen. Darüber, ob eine Zuwendung als Ausstattung anzusehen ist, entscheidet nicht die von den Parteien gewählte Bezeichnung, sondern der objektiv zu ermittelnde Zuwendungszweck. Ausgehend von der Annahme, dass der Erblasser Abkömmlinge grundsätzlich gleich behandeln will, ist bei größeren Zuwendungen im Zweifel keine Schenkung, sondern eine ausgleichungspflichtige Ausstattung anzunehmen.

Unter den Voraussetzungen des § 2050 Abs. 2 BGB können auch Zuschüsse sowie Aufwendungen für die Berufsausbildung ausgleichungspflichtig sein.

  • Macht der Erblasser einem Abkömmling Zuwendungen, die von diesem wie Einkünfte verwendet werden sollen, so besteht eine Ausgleichungspflicht in der Höhe, in der die jeweilige Zuwendung die Vermögensverhältnisse des Erblassers überstiegen hat (§ 2050 Abs. 2 1. Alt. BGB). Ausgleichungspflicht besteht also nur in Höhe des Übermaßes. Einmalige Zuwendungen scheiden hier aus. Es muss sich vielmehr um Zuwendungen von einer gewissen Dauer und Regelmäßigkeit handeln. Auch bezüglich dieser Zuwendungen hat der Erblasser die Möglichkeit, durch formfreie Erklärungen abweichende Bestimmungen zu treffen.
  • Unterstützen Eltern ihre Kinder durch die Übernahme von z. B. Ausbildungs- oder Studienkosten, so sind diese Aufwendungen unter den Erben ebenfalls auszugleichen (§ 2050 Abs. 2 2. Alt. BGB). Eine Ausgleichungspflicht besteht auch hier nur in der Höhe, in der die Vermögensverhältnisse des Erblassers bei der Zuwendung überschritten werden (Übermaß).


Für sonstige Zuwendungen, die Eltern ihren Kindern zu Lebzeiten zukommen lassen, gilt grundsätzlich keine Ausgleichungspflicht. Solche Zuwendungen sind nur dann ausgleichungspflichtig, wenn dies bei der Zuwendung von den Eltern ausdrücklich angeordnet worden ist (§ 2050 Abs. 3 BGB). Die Anordnung kann sich, im Voraus erklärt, auch auf künftige Zuwendungen beziehen. Alternativ kann der Zuwendende sich die Ausübung der Anordnungserklärung auch vorbehalten oder den Eintritt der Anordnungswirkungen bzw. deren Wegfall mit einer Bedingung versehen. Eine nachträgliche Anordnung oder Beseitigung durch einseitige Willenserklärung des Zuwendenden zu Lebzeiten ist nicht zulässig. Allerdings kann der Zuwendende die Wirkungen der Anordnung im Nachgang zu der bereits erfolgten Zuwendung dadurch schaffen, dass er ein Testament errichtet, in dem er die anderen Abkömmlinge in entsprechender Höhe begünstigt, etwa durch Anordnung eines Vorausvermächtnisses (vgl. BGH, NJW 1982, 575; NJOZ 2011, 1).

Ausgleichungspflicht durch Auslegung im Einzelfall zu ermitteln

Ob im Einzelfall eine unter Abkömmlingen ausgleichungspflichtige Zuwendung vorliegt, ist durch Auslegung zu ermitteln. Eine Auslegung ist regelmäßig erforderlich, wenn die Zuwendung „im Wege vorweggenommener Erbfolge unentgeltlich“ erfolgt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist im Einzelfall eine Gesamtbewertung aller Umstände maßgeblich für die Auslegung (BGH, NJW 2010, 3023):

„Die Ermittlung des Erblasserwillens erfordert eine Gesamtbewertung aller relevanten Umstände, wobei insbesondere auch die zeitlichen Zusammenhänge zwischen Zuwendung und Testamentserrichtung, der Vermögensgegenstand und seine wirtschaftliche Nutzbarkeit durch den Empfänger vor dem Erbfall sowie die Größenordnung der vorgezogenen Vermögenszuwendung zu berücksichtigen sind. Ebenso können Vorstellungen des Erblassers über eine gleichmäßige Behandlung von Abkömmlingen eine Rolle spielen.“

Praxistipp

Der Erblasser ist gut beraten, im Schenkungsvertrag zu regeln, ob der Wert der Zuwendung im Verhältnis zu den übrigen Abkömmlingen des Schenkers auszugleichen ist oder nicht. Es empfiehlt sich auch eine Regelung, ob der Wert der Zuwendung auf den Pflichtteil nach dem Schenker anzurechnen ist.

Auskunftsverpflichtung der Miterben untereinander

Miterben sind untereinander in Bezug auf möglicherweise ausgleichungspflichtige Zuwendungen zur Auskunft verpflichtet (§ 2057 S. 1 BGB). Es besteht Anspruch auf Mitteilung sämtlicher Zuwendungen, die auch nur möglicherweise zur Ausgleichung zu bringen sind. Die Miterben sollen in die Lage versetzt werden, die erforderlichen Bewertungen selbst vorzunehmen oder ggf. durch einen Fachanwalt für Erbrecht überprüfen zu lassen. Es ist daher nicht von der subjektiven Einschätzung des Auskunftsverpflichteten abhängig, ob eine Zuwendung mitzuteilen ist.

Die Auskunft kann formfrei erteilt werden, so dass auch eine mündliche Mitteilung ausreichend ist. Ausgleichungspflichtige Zuwendungen verschaffen keinen unmittelbaren Zahlungsanspruch gegen einen Miterben, die gesetzlich geregelten Zuwendungen und Leistungen sind vielmehr als Rechnungsposten im Rahmen der Auseinandersetzung der aus den Abkömmlingen bestehenden Erbengemeinschaft zu berücksichtigen (§ 2042 Abs. 1 BGB).

Die Beweislast für das Bestehen einer Ausgleichungspflicht trägt derjenige, der eine Anrechnung von Vorempfängen auf den Erbteil des Empfängers verlangt. Im Rahmen der von ihm nach § 2204 BGB zu bewirkenden Auseinandersetzung ist auch ein eingesetzter Testamentsvollstrecker verpflichtet, unter Abkömmlingen ausgleichungspflichtige Zuwendungen zu berücksichtigen (vgl. OLG München, BeckRS 2019, 4418).

Durchführung der Ausgleichung

Die Durchführung der Ausgleichung erfolgt rechnerisch nach § 2055 BGB. Der zu berücksichtigende Wert bestimmt sich gemäß § 2055 Abs. 2 BGB nach der Zeit, zu der die Zuwendung erfolgt ist. Daher ist der Wert zur Zeit der Zuwendung unter Berücksichtigung des Kaufkraftschwunds auf die Zeit des Erbfalls zu indexieren.

Ausgleichungspflichtige Zuwendungen auch für Pflichtteilsanspruch relevant

Die Zuwendungen nach § 2050 f. BGB sind nicht nur im Verhältnis von Abkömmlingen, die mit dem gesetzlichen Inhalt zur Erbfolge gelangen, zu berücksichtigen, sondern auch, wenn der Erblasser einen seiner Abkömmlinge enterbt hat und dem Abkömmling aus diesem Grund nur noch sein Pflichtteilsanspruch zusteht. Gemäß § 2316 Abs. 1 BGB bestimmt sich der Pflichtteil eines Abkömmlings nach demjenigen, was bei mehreren Abkömmlingen im Fall der gesetzlichen Erbfolge auf den gesetzlichen Erbteil unter Berücksichtigung der Ausgleichungspflichten bei der Teilung entfallen würde.
Zuwendungen nach § 2050 Abs. 1 BGB kann der Erblasser dabei nicht zum Nachteil eines Pflichtteilsberechtigten von der Berücksichtigung ausschließen, § 2316 Abs. 3 BGB. Die Ausgleichungspflichten sind insoweit im Pflichtteilsrecht stets relevant, unabhängig davon, ob die Abkömmlinge als gesetzliche oder gewillkürte Erben eingesetzt wurden, ob ihre Erbquoten zueinander im Verhältnis der gesetzlichen Erbteile stehen, sie von der Erbfolge ausgeschlossen sind, sie die Erbschaft ausgeschlagen haben oder für erbunwürdig erklärt worden sind.

Lösung Praxisfall

Nach den vorstehenden Grundsätzen handelt es sich

  • bei dem Baugrundstück mit einem Wert von 40.000 EUR, welches M dem Abkömmling A im Jahr 2012 anlässlich seiner Hochzeit geschenkt hat, um eine Ausstattung i. S. d. § 2050 Abs. 1 BGB, die mangels anderslautender Anordnung ausgleichungspflichtig ist,
  • bei den monatlichen Zahlungen in Höhe von 1.500 EUR, die M während der zweijährigen Promotionszeit an B in den Jahren 2012 und 2013 geleistet hat um einen Zuschuss i. S. d. § 2050 Abs. 2 BGB, die nur ausgleichungspflichtig wären, soweit sie die Vermögensverhältnisse des M überstiegen hätten,
  • bei der Schenkung des Pkw von M an C im Jahr 2014 mit einem Wert von 40.000 EUR um eine andere Zuwendung, i. S. d. § 2050 Abs. 3 BGB, die aufgrund der entsprechenden Anordnung des Erblassers auszugleichen ist.

Zur Berechnung nach § 2055 BGB, wobei im Folgenden unterstellt wird, dass die monatlichen Zahlungen an B die Vermögensverhältnisse des M nicht überstiegen haben:

Nachlasswert 210.000 EUR (= effektiver Nachlass)
zzgl. Vorempfang A 2012 (indexiert) 44.917,35 EUR (= fiktiver Nachlass)
zzgl. Vorempfang C 2014 (indexiert) 43.742,45 EUR (= fiktiver Nachlass)
rechnerische Teilungsmasse 298.659,80 EUR
von der auf A, B, C zunächst entfällt 99.553,26 EUR
Erbteil A: 54.635,92 EUR (= 99.553,26 EUR – 44.917,35 EUR)
Erbteil B: 99.553,26 EUR
Erbteil C: 55.810,82 EUR (= 99.553,26 EUR – 43.742,45 EUR)

Im Rahmen der Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft steht B ein Anspruch auf Zahlung von 99.553,26 EUR zu, seinen Geschwistern A bzw. C ein Anspruch auf Zahlung von 54.635,92 EUR bzw. 55.810,82 EUR.

Fazit

Ausgleichungspflichtige Zuwendungen stellen ein Standardthema der erbrechtlichen Beratungspraxis dar. Streitigkeiten entstehen nach dem Erbfall regelmäßig, wenn im Rahmen lebzeitiger Vermögensübertragungen die langfristigen Folgen der Zuwendungen nicht überblickt werden und die lebzeitigen oder letztwilligen Verfügungen nicht mit der gebotenen Sachkenntnis bzw. Sorgfalt errichtet werden. Um Abkömmlinge auch bezüglich ihrer jeweiligen, zu Lebzeiten des Erblassers von diesem erlangten Zuwendungen wirtschaftlich gleichzustellen, sieht das Gesetz in § 2050 ff. BGB ein komplexes Regelungssystem vor. Stehen wesentliche Zuwendungen im Streit und scheint eine faire Lösung unter den Geschwistern ausgeschlossen, sollte der Abkömmling einen Fachanwalt für Erbrecht hinzuziehen, um die eigene Position mit jeweiligen Chancen und Risiken prüfen zu lassen und durchzusetzen.

Autoren

Dr. Thomas Leuer und Dr. W.-P. Haarmann sind Fachanwälte für Erbrecht. Sie sind auf das streitige Erbrecht spezialisiert.

Dr. Peus · Dr. Leuer · Dr. Haarmann
Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB · Notar