Die Anfechtung als Schlüssel zur Erbschaft
Im Erbrecht begegnen wir häufig Fällen, in denen Testamente fehlen und Erbengemeinschaften vor Herausforderungen stehen. In unserem neuesten Artikel beleuchten wir einen Fall, in dem zwei Geschwister ohne Regelung des Nachlasses in einen erbitterten Streit über eine gemeinsame Erbschaft geraten. Die Uneinigkeit über die Verwaltung des Nachlasses und die unterschiedlichen Vorstellungen über die Nutzung der geerbten Immobilie führen zu einem rechtlichen Zwist, der nicht nur familiäre Bindungen belastet, sondern auch rechtliche Fragestellungen aufwirft.
Wir geben Ihnen praxisnahe Einblicke in die Instrumente, die Ihnen helfen können, auch in schwierigen Situationen Ihre Ansprüche durchzusetzen und die Kommunikation innerhalb der Erbengemeinschaft zu verbessern. Erfahren Sie mehr über mögliche Lösungsansätze, die Ihnen helfen können, Konflikte zu vermeiden oder zu lösen.
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Einleitung
Im Testament übergangene Erbberechtigte fühlen sich fast immer benachtei-ligt. In diesen Fällen kann die Anfechtung einer letztwilligen Verfügung ein geeignetes Gestaltungsmittel sein. Anders als im allgemeinen Vertragsrecht reicht im Erbrecht ein Motivirrtum des Erblassers aus, um die Nichtigkeit einer letztwilligen Verfügung zu erreichen. Die Anforderungen an eine wirksame Anfechtung sind aber hoch, weil zur Überzeugung eines Gerichts häufig erst nach einer durchgeführten Beweisaufnahme feststehen muss, dass der Erblasser das Testament in der irrigen Annahme oder Erwartung des Eintritts eines Umstandes errichtet hat (§ 2078 Abs. 2 BGB).
Der Artikel soll sensibilisieren für eine in der Praxis in vielen Fallen nicht genutzte Möglichkeit, unliebsame Testamente erfolgreich anzugreifen.
Praxisfall
Die verwitwete E stirbt im Jahr 2022. Sie hinterlässt ein privatschriftliches Testament aus dem Jahr 2020, in dem sie ihren Sohn S zu ihrem alleinigen Erben einsetzt und damit ihre Tochter T enterbt. In den Nachlass fällt ein Einfamilienhaus in Münster. Der Wert der Immobilie beträgt ausweislich eines Verkehrswert-gutachtens zum Zeitpunkt des Erbfalls 1,2 Millionen Euro. In den Nachlass fällt weiter ein Depot mit einem Wert in Höhe von 400.000,- Euro. Nach Eröffnung des Testamentes erteilt das Nachlassgericht auf Antrag des S einen Erbschein, der ihn als alleinigen Erben der E ausweist. T macht Pflichtteils-ansprüche in Höhe von 400.000,- Euro geltend, die S aus dem liquiden Nachlass bezahlt. Sechs Monate später verkauft S das Haus an einen Bauträger für 1,8 Millionen Euro. Zwei Monate später erfährt T von ihrer Tante M, ihre Schwester E habe ihr von dem im Jahr 2020 errichteten privat-schriftlichen Testament berichtet. Der Inhalt des Testaments bereite ihr schlaflose Nächte. Im Grunde liebe sie ihre beiden Kinder gleich und sie wolle keinen benachteiligen. Es sei aber ihr Wille, dass das Elternhaus im Familienbesitz verbleibt. Allein ihr Sohn S werde das Haus für sich und seine Familie auf Dauer erhalten können und später an den einzigen Enkelsohn weitergeben. Bei einer Erbeinsetzung der Kinder zu gleichen Teilen könnte sich S wegen der hohen Bodenrichtwerte in Münster St. Mauritz den Erhalt der Immobilie im Familienbesitz nicht leisten. Grundvoraussetzungen der Testamentsanfechtung Ein Testament kann unter den Voraussetzungen der §§ 142 Abs. 2 i.V. m. 2078 ff. BGB angefochten werden. Voraussetzung ist, dass ein Anfechtungsgrund vorliegt, die Anfechtung wirksam erklärt wird und die Anfechtung nicht von Gesetzes wegen ausgeschlossen ist. Eine wirksame Tes-tamentsanfechtung hat zur Folge, dass das Testament nichtig ist, mithin frühere letztwillige Verfügungen des Erblassers Geltung erlangen oder die gesetzliche Erbfolge gilt. Hinsichtlich des Anfechtungsgrundes ist zu beachten, dass das Erbrecht spezielle Anfechtungsgründe in § 2078 BGB enthält in Erweiterung der allgemeinen Vorschriften in den $§ 119 ff. BGB.
T findet dies alles ungerecht und lässt sich rechtlich beraten.
Grundvoraussetzungen der Testamentsanfechtung
Ein Testament kann unter den Voraussetzungen der §§ 142 Abs. 2 i.V. m. 2078 ff. BGB angefochten werden. Voraussetzung ist, dass ein Anfechtungsgrund vorliegt, die Anfechtung wirksam erklärt wird und die Anfechtung nicht von Gesetzes wegen ausgeschlossen ist. Eine wirksame Tes-tamentsanfechtung hat zur Folge, dass das Testament nichtig ist, mithin frühere letztwillige Verfügungen des Erblassers Geltung erlangen oder die gesetzliche Erbfolge gilt.
Hinsichtlich des Anfechtungsgrundes ist zu beachten, dass das Erbrecht spezielle Anfechtungsgründe in § 2078 BGB enthält in Erweiterung der allgemeinen Vorschriften in den $§ 119 ff. BGB.
- § 2078 Abs. 1 BGB regelt den Inhalts-und Erklärungsirrtum. Bei dem sog.
Inhaltsirrtum weiß der Erklärende, was er sagt, aber nicht, was die Erklärung inhaltlich bedeutet. Bei dem sog. Erklärungsirrtum weiß der Erklärende nicht einmal, welche Erkla-rung er abgibt, weil er einem Irrtum bezogen auf die Erklärungshandlung selbst unterliegt, etwa weil er sich bei der Errichtung des Testaments verschrieben hat. - Im Erbrecht existiert zudem – in Ergänzung der allgemeinen Vorschriften der 55 119 ff. BGB – ein spezieller Anfechtungsgrund. Dabei handelt es sich um den sog. Motivirrtum, § 2078 Abs. 2 1. Halbsatz BGB. Weitere Fall-gruppen sind die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung und die Anfechtung wegen widerrechtlicher Drohung nach §§ 2078 Abs. 2 2. Halbsatz i. V. m. 123 Abs. 1 BGB.
Die Anfechtungsberechtigung ist in § 2080 BGB geregelt. Danach ist derjenige anfechtungsberechtigt, dem die Aufhebung der testamentarischen Bestimmung unmittelbar zustatten-kommt. Wird etwa ein Abkömmling des Erblassers durch ein Einzeltestament enterbt, kann dieser – bei Vorliegen eines Anfechtungsgrundes – das Testament anfechten. Ist das Testament infolge der Anfechtung nichtig, gilt grundsätzlich die gesetzliche Erbfolge, wonach der Abkömmling als Erbe berufen ist, § 1924 BGB.
Die Anfechtung stellt eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung dar. Sie ist gemäß § 2081 BGB gegenüber dem Nachlassgericht zu erklären und kann gemäß § 2082 Abs. 1 BGB nur binnen Jahresfrist erfolgen, wobei die Frist mit dem Zeitpunkt beginnt, in welchem der Anfechtungsberechtigte von dem Anfech-tungsgrund Kenntnis erlangt hat, § 2082 Abs. 2 Satz 1 BGB.
Motivirrtum als häufigster Anfechtungsgrund
Eine letztwillige Verfügung kann nach § 2078 Abs. 2 1. Halbsatz BGB angefochten werden, wenn der Erblasser zu der Verfügung durch Erwartung des Eintritts oder Nichteintritts eines Umstandes bestimmt worden ist. Dabei handelt es sich um den sog. Motivirrtum, auf den in der anwaltlichen Praxis die Mehrzahl der Anfechtungen gestützt wird. Gegenstand eines Motivirrtums ist grundsätzlich jede irrige Vorstellung über vergangene oder gegenwärtige Tatsachen, der der Erblasser zum Zeitpunkt der Errichtung der letztwilligen Verfügung unterlag. Auch Zukunftserwartungen des Erblassers, die sich später nicht erfüllen, können zur Anfechtung berechtigen. Jeder Fehler mit Auswirkung auf den Willensbildungsprozess des Erblassers ist somit grundsätzlich geeignet, eine spätere Anfechtung zu begründen. So hat die Rechtsprechung zum Beispiel eine Anfechtung wegen eines Irrtums über frühere oder gegenwärtige Umstände als begründet angesehen, wenn der Erblasser die wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse eines Beteiligten und deren weitere Entwicklung falsch einschätzte oder der Erblasser keine Kenntnis von der kriminellen Vergangenheit des Bedachten hatte und aufgrund dieser falschen Tatsachengrundlage testierte. Darüber hinaus ist eine Anfechtung wegen falscher Vorstellungen und Erwartungen des Erblassers in Bezug auf künftige Umstände anerkannt, etwa die irrige Erwartung eines positiven Verlaufs der eigenen Ehe oder des Fortbestands einer freundschaftlichen Beziehung. Solche Irrtümer reichen für eine wirksame Anfechtung aus, wenn sicher erscheint, dass der Erblasser die letztwillige Verfügung bei Kenntnis der – tatsächlichen – Sachlage nicht errichtet hätte. Insoweit ist der wahre – auch hypothetische – Wille des Erblassers maßgeblich.
Hinweis:
Innerhalb der Jahresfrist (§ 2082 Abs. 1, Abs. 2 BGB) die Anfechtung des Testaments erklärt. Da ihr als gesetzlicher Erbin der Wegfall des Testaments zustattenkommen würde, war T anfechtungsberechtigt. Zudem lag ein Anfechtungsgrund in Form eines Motivirrtums vor. Die positive Vorstellung der Erblasserin, ihr Sohn S werde das Haus nicht veräußern und an den Enkelsohn weitergeben und er alleinige Mieter, war ein Motiv i. S. d. § 2078 Abs. 2 BGB, auf dessen Grundlage die Erblasserin in ihrem subjektiven Erwartungshorizont testierte. Allerdings spricht viel dafür, dass die Erblasserin sich bei besserer Kenntnis über die spätere Entwicklung nicht so entschieden hätte.
Falllösung
Das zur Entscheidung berufene Gericht hat in dem Praxisfall entschieden, dass das Testament aufgrund einer wirksamen Anfechtung der T nichtig ist und die gesetzliche Erbfolge gilt, wonach T und S Erben zu jeweils 1/2 Anteil geworden sind. S wird deshalb die Hälfte des von S erzielten Kaufpreis in Höhe von 900.000,-Euro an T herauszugeben haben unter Verrechnung des von ihr bereits erhaltenen Pflichtteils.
Danach erhält T als gesetzliche Miterbin die Hälfte des gesamten Nachlasses, insgesamt also 1,1 Millionen Euro:
- 900.000,- Euro (= 50 % des Verkaufserlöses der Immobilie),
- 200.000,- Euro (= 50 % des Depots).
Die bereits erhaltene Pflichtteilszah-lung von 400.000,- Euro wird angerech-net. Durch den zeitnahen Verkauf des Objekts wurde der wahre Verkehrswert der Immobilie in Höhe von 1,8 Millionen Euro ermittelt. Das Sachverständigengut-achten, wonach sich der Wert zum Stichtag Erbfall auf lediglich 1,2 Millionen Euro belaufen hatte, ist damit überholt und für die Erbauseinandersetzung zwischen S und T ohne Belang.
T hatte binnen Jahresfrist (§ 2082 Abs. 1, Abs. 2 BGB) die Anfechtung des Testaments erklärt. Da ihr als gesetzlicher Erbin der Wegfall des Testaments zustattenkommen würde, war T anfechtungsberechtigt. Zudem lag ein Anfechtungsgrund in Form eines Motiv-irrtums vor. Die positive Vorstellung der Erblasserin, ihr Sohn S werde das Haus nicht veräußern und an den Enkelsohn weitergeben, wenn er Alleinerbe wird, war ein Motiv i. S. d. § 2078 Abs. 2 BGB, das für die Verfügung der Erblasserin in ihrem Testament bestimmend war.
Diese subjektive Erwartung hat zwar im Testament keine ausdrückliche Stütze gefunden. Allerdings spricht der Inhalt des Gesprächs zwischen der Erblasserin und ihrer Schwester für das Vorliegen eines Motivirrtums. Das Vertrauen des S an einer Aufrechterhaltung der testamentarischen Verfügung der Erblasserin ist insoweit nicht schutzwürdig, weil sich der Motivirrtum nicht nur auf vergangene und gegenwärtige, sondern auch auf künftige Umstände beziehen kann. Unerheblich ist auch, ob die Erblasserin Einfluss auf diese Umstände hat und auf welche Weise der Irrtum entstanden ist.
Fazit
Erblasser haben durchaus die Möglichkeit, Erbeinsetzungen zu begründen und dadurch eine gewisse Erwartung hinsichtlich der Verwendung ihres Erbes zum Ausdruck zu bringen. Werden diese Erwartungen später enttäuscht, kommt eine Anfechtung zugunsten der durch das Testament benachteiligten Erben in Betracht. Die Anforderungen an eine wirksame Anfechtung sind zurecht hoch.
Schließlich kann die Erbfolge durch eine wirksame Anfechtung vollständig zugunsten des Anfechtenden modifiziert werden und unter Umständen sogar dazu führen, dass der Anfechtende – unter Aufhebung des entgegenstehenden Testaments – Alleinerbe wird.
Dr. Thomas Leuer und Dr. W.-P. Haarmann sind Fachanwälte für Erbrecht. Sie sind auf das streitige Erbrecht spezialisiert.
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