§ 2287 BGB – Die zentrale Vorschrift im Erbstreit

In unserem aktuellen Artikel beleuchten wir die zentrale Vorschrift des § 2287 BGB, die besonders relevant wird, wenn es um Erbstreitigkeiten zwischen Schlusserben geht. Anhand eines konkreten Falls, in dem eine Mutter ihren Sohn begünstigt und damit die Ansprüche des weiteren Sohnes gefährdet, zeigen wir auf, wie lebzeitige Schenkungen die Erbfolge beeinflussen können.

Der Fall der Ehegatten M und V verdeutlicht die Herausforderungen, die sich aus der bindenden Erbeinsetzung in einem gemeinschaftlichen Testament ergeben. Während die Schenkungen an T unter dem Vorwand der Betreuung erbracht wurden, stehen S und T nun im Streit um das Erbe. Hier erfahren Sie, welche Voraussetzungen gegeben sein müssen, damit ein Schlusserbe seine Ansprüche geltend machen kann und in welchen Fällen lebzeitige Schenkungen trotzdem rechtens sind.

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Einleitung

Ehegatten schließen häufig wechselseitig bindende letztwillige Verfügungen, entweder in Form eines gemeinschaftlichen Testaments oder in Form eines Erbvertrages, und setzen darin ihre Abkömmlinge oder Dritte als Erben des letztverstorbenen Ehegatten ein. Die Erbeinsetzung wird bindend mit Abschluss des Erbvertrages, beim gemeinschaftlichen Testament mit dem Tod des ersten Ehegatten. Diese erbrechtliche Bindung nimmt den Testierenden jedoch nicht das Recht, noch zu Lebzeiten über ihr Vermögen zu verfügen und insbesondere auch Schenkungen zugunsten Dritter vorzunehmen. Die Vorschrift des § 2287 BGB verhindert, dass der spätere Nachlass durch solche Schenkungen widerrechtlich ausgehöhlt wird. Danach kann der Schlusserbe bzw. Vertragserbe nach dem Tod des längerlebenden Ehegatten Schenkungen unter bestimmten Voraussetzungen von dem Beschenkten herausverlangen. Der Artikel gibt einen Überblick über das Spannungsverhältnis zwischen den berechtigten Erberwartungen des Schlusserben bzw. Vertragserben und der lebzeitigen Dispositionsbefugnis des Erblassers, den vom Gesetzgeber vorgegebenen Rahmen und die auf dieser Basis von der Rechtsprechung zur Lösung des v. g. Konflikts entwickelten Grundsätze.

Der Fall

Die Ehegatten M und V errichten im Jahr 1970 ein gemeinschaftliches Testament, in dem sie sich wechselseitig zu Alleinerben und ihre beiden Abkömmlinge S und T als Schlusserben zu gleichen Teilen einsetzen („Berliner Testament“). Das Testament enthält keine Öffnungsklausel, die dem überlebenden Ehegatten gestatten würde, die Schlusserbfolge abzuändern.

Im Jahr 2010 verstirbt V. S ist beruflich stark eingespannt und lebt in München. T kümmert sich nach dem Tod des V um die Mutter M und nimmt sie bei sich auf. M überträgt in der Folgezeit sowohl ihre Immobilie mit einem Wert von 400.000 EUR als auch den Großteil ihrer Ersparnisse (200.000 EUR) auf T.

Im Jahr 2021 stirbt M. Nach Eröffnung des Testaments aus dem Jahr 1970 stellt S fest, dass sich der Nachlass nur noch auf 10.000 EUR beläuft. S ist empört und wirft T vor, ihn um sein Erbe gebracht zu haben. Er verlangt von T die Herausgabe der Immobilie. Auch der Betrag in Höhe von 200.000 EUR soll bei der Erbauseinandersetzung Berücksichtigung finden. T beruft sich darauf, die Schenkungen an sie seien deshalb erfolgt, weil sie ihre Mutter nach dem Tod des Vaters über viele Jahre betreut habe. Der Kontakt ihres Bruders zu seiner Mutter habe sich hingegen auf Besuche zu Geburtstagen beschränkt.

Grundsätze

Der Anwendungsbereich für die Herausgabe lebzeitiger Schenkungen ist nur eröffnet, wenn

  • der Betroffene in einem Erbvertrag als Vertragserbe eingesetzt worden ist (§§ 1941, 2278 BGB),

  • der Betroffene in einem Ehegattentestament als Schlusserbe des zweitverstorbenen Ehegatten eingesetzt worden ist (§§ 2267, 2270 BGB).

Der Gesetzgeber hat in § 2286 BGB und § 2287 BGB geregelt, unter welchen Voraussetzungen lebzeitige Schenkungen auch nach dem Tod des Erblassers als anerkennenswert anzusehen sind und deshalb nicht von dem Vertragserben bzw. Schlusserben herausverlangt werden können.

§ 2286 BGB Verfügungen unter Lebenden

Durch den Erbvertrag wird das Recht des Erblassers, über sein Vermögen durch Rechtsgeschäft unter Lebenden zu verfügen, nicht beschränkt.

§ 2287 BGB Den Vertragserben beeinträchtigende Schenkungen

(1) Hat der Erblasser in der Absicht, den Vertragserben zu beeinträchtigen, eine Schenkung gemacht, so kann der Vertragserbe, nachdem ihm die Erbschaft angefallen ist, von dem Beschenkten die Herausgabe des Geschenks nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung fordern.
(2) Die Verjährungsfrist des Anspruchs beginnt mit dem Erbfall.

Dabei stellt § 2286 BGB zunächst klar, dass der Testierende trotz letztwilliger Bindung berechtigt ist, noch unter Lebenden über sein Vermögen – sprich den späteren Nachlass – zu verfügen. Solche Verfügungen sind also zunächst wirksam und auch bei einem Verstoß gegen § 2287 BGB nicht nichtig. Sie können von dem Vertragserben bzw. Schlusserben nicht unterbunden werden, weder durch Eintragung einer Vormerkung im Grundbuch noch durch Erlass einer einstweiligen Verfügung oder zu Lebzeiten herausverlangt werden. Vor dem Erbfall hat der Vertragserbe bzw. Schlusserbe noch keine Rechte, auch kein Anwartschaftsrecht an dem Vermögen des Testierenden erlangt. Seine Aussicht, Vermögen des Erblassers nach dessen Tod zu erhalten, ist auch weder übertragbar noch vererbbar.

Der Gesetzgeber hat erkannt, dass der Vertragserbe bzw. Schlusserbe davor geschützt werden muss, dass der Nachlass durch lebzeitige Schenkungen des Erblassers widerrechtlich ausgehöhlt wird, und hat aus diesem Grund einen Herausgabeanspruch des Vertragserben bzw. Schlusserben gegen den Beschenkten in § 2287 BGB normiert.

Die besondere Schutzbedürftigkeit des Vertragserben bzw. Schlusserben beruht darauf,

  • dass der Erblasser mit dem Vertragserben einen bindenden Erbvertrag über dessen Einsetzung geschlossen hat, sodass der Erblasser keine abweichende Verfügung von Todes wegen mehr errichten kann (§ 2289 Abs. 1 BGB) und die Bindungswirkung allenfalls unter engsten Voraussetzungen durch Anfechtung oder Rücktritt entfällt,

  • dass beide Ehegatten sich entschieden haben, den Betroffenen ohne Änderungsmöglichkeit als Schlusserben des Letztverstorbenen einzusetzen, es also der letzte Wille beider Ehegatten war, dass ihr jeweiliges Vermögen von Todes wegen auf den Betroffenen übergeht. Nach dem Tod des erstverstorbenen Ehegatten kann hingegen ein Sinneswandel auf Seiten des überlebenden Ehegatten eintreten, der – nunmehr unwiderruflich – an die Schlusserbeneinsetzung gebunden ist. Geht der überlebende Ehegatte eine neue Partnerschaft ein oder besteht mit der Zeit kein persönliches Näheverhältnis zum eingesetzten Schlusserben mehr, versucht ein überlebender Ehegatte häufig, zugunsten des neuen Partners und damit zulasten des Schlusserben, unter Lebenden über sein Vermögen zu verfügen – der typische Anwendungsbereich von § 2287 BGB.

Voraussetzungen und Rechtsfolgen des § 2287 BGB

Der Anspruch entsteht mit dem Tod des Erblassers, bei einem gemeinschaftlichen Testament mit dem Tod des zweitverstorbenen Ehegatten. Die Verjährungsfrist des Anspruchs aus § 2287 BGB beträgt drei Jahre (§ 195 BGB) und beginnt kenntnisunabhängig mit dem Erbfall zu laufen (§ 2287 Abs. 2 BGB).

a) Erbvertragliche oder wechselbezügliche Erbeinsetzung

Der Gläubiger muss mit erbvertragsmäßiger Wirkung (§ 2278 BGB) oder mit wechselbezüglicher Bindungswirkung in einem gemeinschaftlichen Testament (§ 2270 BGB) zum Allein- oder Miterben eingesetzt worden sein. Nach seinem Wortlaut schützt § 2287 BGB zwar nur den „Vertragserben“, der Bundesgerichtshof hat jedoch den Anwendungsbereich auf wechselbezügliche Verfügungen erweitert (BGH, NJW-RR 2012, 207).

b) Schenkung

Der Erblasser muss nach Abschluss des Erbvertrages bzw. bei gemeinschaftlichen Testamenten nach dem Tod des erstverstorbenen Ehegatten einem Dritten eine Schenkung zugewendet haben (BGH, NJW 1983, 1487), wobei den Vertragspartnern die (teilweise) Unentgeltlichkeit bewusst gewesen sein muss (BGH, NJW 1982, 43). Inhaltlich setzt § 2287 BGB voraus, dass eine Schenkung im Sinne des § 516 BGB erfolgt ist. Auch gemischte Schenkungen, Schenkungen unter Auflagen sowie ein lediglich auf den Todesfall abgeschlossener Vertrag zugunsten Dritter können unter § 2287 BGB fallen – nicht hingegen Pflicht- und Anstandsschenkungen. Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass über § 2287 BGB sogar die Herausgabe ehebedingter Zuwendungen verlangt werden kann (BGH, NJW 1992, 564).

Eine teilweise oder vollständige Entgeltlichkeit der Zuwendung kann sich aus Gegenleistungen ergeben, zu deren Erbringung der Beschenkte sich im Gegenzug gegenüber dem Erblasser verpflichtet (zum Beispiel Pflegeverpflichtung). Bei einer gemischten Schenkung kann § 2287 BGB nur den unentgeltlichen Teil der Zuwendung erfassen.

c) objektive Beeinträchtigung

§ 2287 BGB setzt als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal voraus, dass der Vertragserbe bzw. Schlusserbe durch die Schenkung objektiv beeinträchtigt wurde. Den Schutz des § 2287 BGB genießt nur der wirksam und unwiderruflich eingesetzte Erbe. Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass § 2287 BGB nicht greift, wenn und soweit die letztwillige Verfügung des Erblassers außerhalb des Schutzbereichs der eingegangenen Bindungen liegt und die berechtigten Erberwartungen des Vertragserben nicht geschmälert werden (BGH, NJW 1982, 43). Keine Beeinträchtigung liegt vor in folgenden Fällen:

  • Ein Anspruch aus § 2287 BGB scheidet aus, wenn der schenkende Erblasser aufgrund einer Klausel im Erbvertrag oder Testament berechtigt war, die Erbfolge zu ändern.

  • Gleiches gilt, wenn der Erblasser aufgrund einer entsprechenden Klausel in dem Erbvertrag oder Ehegattentestament ausdrücklich berechtigt war, unter Lebenden frei über den Nachlass zu verfügen unter
    Ausschluss der Vorschrift des § 2287 BGB.

d) Absicht des Erblassers, den Vertragserben bzw. Schlusserben zu beeinträchtigen

Dreh- und Angelpunkt für das Bestehen des Herausgabeanspruchs nach § 2287 BGB ist die erforderliche Absicht des Erblassers, den Vertragserben bzw. Schlusserben durch die Schenkung zu beeinträchtigen. Ob eine Beeinträchtigungsabsicht vorlag oder die Schenkung aufgrund eines anerkennenswerten, lebzeitigen Eigeninteresses des Erblassers erfolgte und deshalb nicht angegriffen werden kann, hängt von den tatsächlichen Motiven des Erblassers für die Benachteiligung des Vertragserben bzw. Schlusserben und den weiteren Umständen des Einzelfalles ab. Erscheint nach dieser umfassenden Abwägung die Schenkung als billigenswert und gerechtfertigt, entfällt der Herausgabeanspruch (BGHZ 66, 8; BGHZ 77, 264)

In der höchstrichterlichen Rechtsprechung haben sich typische Fallgruppen, in denen ein lebzeitiges Eigeninteresse in Betracht kommt, gebildet:

  • Sicherung und Verbesserung der eigenen Altersversorgung

  • Erfüllung einer sittlichen Verpflichtung/besonderer Dank aufgrund besonderer Leistungen, Opfern oder Versorgungszusagen, die der Beschenkte für den Erblasser erbracht hat

  • Sicherung der Unternehmensfortführung

  • materielle Bindung des Beschenkten an den vereinsamten Erblasser

  • Versorgung naher Verwandter

  • Schenkung aus ideellen Zwecken (z. B. Spenden an gemeinnützige Institutionen)

  • Gleichstellung eines anderen Vertragserben

Praxistipp

Geht das Gericht davon aus, dass in der Schenkung des Erblassers eine objektive Beeinträchtigung des Vertragserben bzw. Schlusserben liegt, ist es Sache des Beschenkten darzulegen, aus welchen Gründen die Schenkung doch noch mit der erbvertraglichen Bindung des Erblassers vereinbar ist.

Stets erforderlich ist ein umfassender Vortrag im gerichtlichen Verfahren zu den konkreten Umständen – entweder im Hinblick auf eine Beeinträchtigungsabsicht oder das Vorliegen eines lebzeitigen Eigeninteresses. Die dadurch geschaffene Tatsachengrundlage entscheidet über das Ergebnis der Interessenabwägung zwischen den berechtigten Erberwartungen des Gläubigers und den Motiven des Erblassers – und damit über den Ausgang des Rechtsstreits. Aus diesem Grund sollten bereits Fehler in der außergerichtlichen Korrespondenz, die der Gegenseite Angriffspunkte für einen späteren Prozess liefern, zwingend vermieden werden.

In unserem Praxisfall muss T beweisen, dass das Motiv ihrer Mutter für die Schenkung die besondere Betreuungsleistung war. Kann T nicht das lebzeitige Eigeninteresse ihrer Mutter beweisen, verliert sie den Prozess gegen den Bruder und wird zur Herausgabe verurteilt. Will der Erblasser dies verhindern, sollte er schon zu seinen Lebzeiten die Motive für Schenkungen rechtssicher dokumentieren. Besonders geeignet hierfür sind notarielle Übertragungsverträge. Selbst handschriftliche Aufzeichnungen des Erblassers können für den Beschenkten hilfreich sein, der Herausgabeansprüchen der Erben ausgesetzt ist.

Fazit

Wenn sich Erben streiten, ist in vielen Fällen der Anwendungsbereich des § 2287 BGB betroffen. Die Vorschrift schützt den Vertragserben bzw. Schlusserben davor, dass der Nachlass durch lebzeitige Schenkungen des Erblassers ausgehöhlt wird. Die Schenkung muss in der Absicht, den Vertragserben zu beeinträchtigen, erfolgt sein. Der Beschenkte ist dann nach dem Tod des Erblassers zur Herausgabe des Erlangten an den Vertragserben bzw. Schlusserben verpflichtet. Der Anspruch entfällt, wenn der Beschenkte ein lebzeitiges Eigeninteresse des Erblassers an der Schenkung beweisen kann. Über die Frage, ob der Erblasser ein anerkennenswertes Eigeninteresse an der Zuwendung hatte oder ein Fall des Missbrauchs der Verfügungsfreiheit gegeben ist, wird häufig gestritten. Der Streit wird vermieden, wenn der Erblasser schon zu seinen Lebzeiten die Motive für die Schenkung rechtssicher dokumentiert.

Autoren

Dr. Thomas Leuer und Dr. W.-P. Haarmann sind Fachanwälte für Erbrecht. Sie sind auf das streitige Erbrecht spezialisiert.

Dr. Peus · Dr. Leuer · Dr. Haarmann
Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB · Notar